Zwei Tage in Essen: Keine Mehrheit für die Höcke-Frau und andere Ergebnisse des AfD-Parteitags


Professionalisierung, das Wort fiel häufiger beim AfD-Parteitag. Gemeint ist keine inhaltliche Mäßigung, sondern das Ziel, bis 2029 koalitions- und regierungsfähig zu werden. Wie das praktisch aussehen soll, blieb in Essen offen. Ein Überblick.

Das Wahlergebnis

Alice Weidel und Tino Chrupalla erhielten eine überraschend hohe Zustimmung bei ihrer Wiederwahl als Parteivorsitzende. Überraschend war vor allem Chrupallas Ergebnis: Er hatte im Vorfeld befürchtet, in Essen an den Rand gedrängt zu werden, vor allem ihm war der in der Partei kritisierte Umgang mit den Europa-Spitzenkandidaten Maximilian Krah und Petr Bystron angelastet worden. Doch Chrupalla kommt auf 82,7 Prozent, Weidel auf 79,8 Prozent. Sie schien den Rückstand locker zu nehmen, er wirkte geradezu überwältigt. Er habe “in den letzten Jahren viel gearbeitet”, verkündete Chrupalla mit einer Mischung aus Trotz und Rührung, jetzt werde er “noch mehr arbeiten”. Weidel sagte später bei ntv, sie finde es “toll, dass er sogar sechs Stimmen” mehr habe als sie selbst.

Die Proteste

Rund um den Parteitag protestierten Zehntausende gegen die AfD – die meisten friedlich, aber nicht alle. Nach Angaben der Polizei wurden 28 Polizisten verletzt, einer von ihnen schwer. Ursprünglich waren zwei schwer verletzte Polizisten gemeldet worden. Der Polizei zufolge traten Unbekannte zwei am Boden liegenden Beamten gegen den Kopf. Beide wurden ins Krankenhaus gebracht, die Verletzungen einer Polizistin hätten sich glücklicherweise als nicht so gravierend dargestellt, so die Polizei.

Das Bündnis, das die Proteste organisiert hatte, teilte zudem mit, dass der AfD-Politiker Stefan Hrdy friedliche Demonstrierende attackiert habe. Der Mann sei auf Demonstrierende zugegangen und habe sie angespuckt. In einer weiteren Situation habe er einer Person ins Bein gebissen.

In der Halle sorgten die Proteste für ein noch stärkeres Gefühl, auf der richtigen Seite zu stehen. “Was sich hier abspielt, hat mit Demokratie nichts mehr zu tun”, sagte Weidel über die Proteste. “Das ist eigentlich skandalös.” Die Massivität der Proteste bestärkte bei der AfD die Vorstellung, sie allein seien die echten Demokraten.

Die Stimmung

Unklar ist, wie weit das Wahlergebnis für Chrupalla die Stimmung in der Partei spiegelt. Die AfD bleibt eine Partei, deren Grundstimmung die Wut ist – was sich auch weiterhin mitunter nach innen richtet. “Jeden von Ihnen kann es treffen”, sagte Gereon Bollmann, der bisherige Präsident des AfD-Schiedsgerichts über Parteiausschlussverfahren. “Und Sie werden sich freuen, wenn Sie dann von einem unabhängigen Richter stehen.” (Bollmann erhielt später keine Mehrheit.) In einer Debatte über die Organisation von Landesparteitagen stellte ein Delegierter die rhetorische Frage, was denn sei, wenn “Saboteure” in einem Vorstand säßen. “Das geht schneller als man meint!”

Die Radikalität

Inhaltlichen Streit über die Radikalität der politischen Positionen oder über die Rechtsextremen in der Partei gab es in Essen nicht. Ohnehin sind die politischen Positionen der AfD in allen relevanten Themen radikal: Migration ist das Ende des Abendlandes, die Europäische Union ist eine Katastrophe, für Weidel gehört die Ukraine nicht nur nicht zur EU, sondern nicht einmal zu Europa, Windräder sind böse, wir sind die einzigen, die Deutschland lieben.

Wenn es Streit gibt in der AfD, dann nicht zwischen Lagern, sondern zwischen Machtgrüppchen. Die zahlreichen Rechtsextremisten in ihren Reihen empfindet die AfD nicht als Problem – der Verfassungsschutz ist für sie das Problem. Dieser ist “zum Verfassungsfeind geworden, und er gehört in dieser Form abgeschafft”, wie Weidel sagte.

Björn Höcke

AfD-Bundestagsabgeordnete verbreiten schon seit einiger Zeit, dass der Einfluss des langjährigen Strippenziehers Björn Höcke in der AfD überschätzt wird. Das mag so sein. Auf dem Essener Parteitag schlug Höcke eine Parteikollegin für einen Posten im AfD-Schiedsgericht vor, Anna Rathert, die nach eigenen Angaben für die AfD-Bundestagsfraktion arbeitet. Rathert hatte ihre Kandidatur offenbar vorbereitet, ihre Rede las sie ab. Sie sprach darin über “rote Linien des Sagbaren”, die “unsere Gegner” ziehen würden, weniger über das AfD-Schiedsgericht. Bei Nachfragen wurde deutlich, dass einzelne Delegierte erhebliche Skepsis gegen sie hatten. In der Abstimmung erhält sie 45 Prozent – gewählt wird der Gegenkandidat.

Applaus gab es immerhin, als Chrupalla zum Abschluss des Parteitags rief, Höcke solle Ministerpräsident von Thüringen werde.

Die Professionalisierung

Viel war auf dem AfD-Parteitag von Professionalisierung die Rede. Nach der für sie letztlich enttäuschenden Europawahl hat die Partei nun die Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg im Blick, langfristig will sie koalitionsfähig werden – Chrupalla sprach vom “Projekt 2029”. Allerdings will die AfD dabei den österreichischen Weg gehen: wählbar werden, ohne radikale Positionen aufzugeben.

Ein Symbol für die Professionalisierung sollte die Schaffung eines neuen Amtes sein: Für den Fall, dass die AfD nur noch einen Chef oder eine Chefin hat, sollte es ab 2025 einen Generalsekretär geben. Berichten zufolge sah Chrupalla das Vorhaben als Angriff auf sich. Am Ende wurde es komplett abgeblasen: Erst ergänzten die Antragsteller, dass es den Generalsekretär auch bei einer Doppelspitze geben soll, dann wurde der Antrag in das zuständige Parteigremium überwiesen. Nach zehn Minuten war die Debatte beendet.

Russland, China und die USA

Komplett ohne Kontroverse ging am Sonntagnachmittag eine Debatte über die außenpolitischen Ziele über die Bühne. Russland, China, die USA, das seien alles Großmächte, die nur an ihren eigenen Interessen orientiert seien, nicht an denen Deutschlands. Dahinter steht die Auffassung, dass es mit den USA nicht mehr Gemeinsamkeiten geben kann als mit Ländern wie Russland und China. Waffenlieferungen an die Ukraine lehnt die AfD ohnehin ab, sich selbst bezeichnet sie in einer der Resolutionen als “Friedenspartei”.

In der Ursprungsversion hieß es: “Die Anerkennung von berechtigten Sicherheitsbedürfnissen ist dabei erkennbar in deutschem Interesse.” Russland wurde hier nicht ausdrücklich erwähnt, war aber erkennbar gemeint. Der Satz wurde schließlich gestrichen – mit der Begründung, dass man ja auch argumentieren könne, dass die baltischen Staaten ein berechtigtes Sicherheitsinteresse gegen Nord Stream 2 hätten geltend machen können. Das sei aber nicht im deutschen Interesse. An der offenkundigen Russlandnähe des Antrags hatte niemand etwas auszusetzen.

Der Elefant im Raum

Friedenspartei? Da war doch was – richtig: Auch das Bündnis Sahra Wagenknecht sieht sich als Friedenspartei. Bei den Landtagswahlen im September ist die neue Partei ein echter Konkurrent. Entsprechend giftig hatte sich Weidel vor dem Parteitag über das BSW geäußert. In Essen wurde der Elefant im Raum mit keinem Wort erwähnt.



Author: RoteRuhrarmee1920

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