“Wir wollen regieren”: Die Hoffnung auf Wahlerfolge sorgt bei der AfD für Harmonie


Die AfD hat, jedenfalls vorläufig, eine Lehre aus der Europawahl gezogen: Streit schadet. Entsprechend harmonisch verläuft der erste Tag des Parteitags in Essen. Als es am Abend kritisch wird, vertagen sich die Delegierten. Eine knappe Mehrheit will Fußball gucken.

Der Samstag war ungewöhnlich für einen AfD-Parteitag, so viel kann man sagen. “Ich glaube, so schnell hat die Alternative für Deutschland noch nie einen Bundesvorstand gewählt, das ist doch auch mal was”, freut sich der Tagungsleiter am frühen Samstagabend. Und 75 Minuten später: “Das war sicherlich mit der, wenn nicht der disziplinierteste AfD-Parteitag in elf Jahren.”

Dabei war es am Samstagabend noch mal kurz leicht krawallig geworden. Gereon Bollmann, Präsident des AfD-Bundesschiedsgerichts, trug seinen Rechenschaftsbericht vor. In der Aussprache danach hagelte es Kritik. Das Bundesschiedsgericht sei schuld daran, dass es in der Bremer Bürgerschaft keine AfD-Fraktion gibt. Mitten in diesem Streit beantragt ein Delegierter das Ende der Debatte – wie so häufig, wenn es kontrovers und langatmig wird. Eine Mehrheit des Parteitags folgt dem Antrag.

Eigentlich hätte jetzt die Wahl der Richter angestanden, aber dieser Tagesordnungspunkt wird verschoben – ein Delegierter verlangt, sich auf den nächsten Morgen zu vertagen, “dann können wir heute Abend alle noch Fußball gucken”. Ein anderer Delegierter hält dagegen: Lieber jetzt weitermachen und morgen früher nach Hause. Der AfD-Politiker Björn Höcke sagt dem ZDF, er gucke seit 2014 keinen Fußball mehr. Damit ist er hier, wenn auch knapp, in der Minderheit: Die elektronische Abstimmung zeigt: 53,55 Prozent für die Vertagung, 46,45 Prozent dagegen. Die Wahl der Richter wird auf den Sonntag verschoben.

“Erst im Osten, dann im Westen, dann im Bund”

Streit kann die AfD auf diesem Parteitag gar nicht gebrauchen. Im September stehen drei für die AfD äußerst wichtige Landtagswahlen an, in Sachsen, Thüringen und Brandenburg. Will die AfD dort nicht nur ihre bisherigen Anhänger mobilisieren, sondern darüber hinaus Wähler gewinnen, dann braucht sie dringend Geschlossenheit – und keine öffentliche Auseinandersetzung darüber, ob die Nummer eins und zwei auf der Europawahlliste eine falsche Wahl waren – oder ob die Partei trotz der Vorermittlungen gegen Maximilian Krah und Petr Bystron loyal zu beiden hätte stehen müssen.

Chrupalla gibt das Ziel aus, nach den Landtagswahlen im September auf Landesebene zu regieren. “Im Osten wird für uns die Sonne der Regierungsverantwortung aufgehen”, sagt er. “Wir wollen regieren – erst im Osten, dann im Westen, dann im Bund.” Nötig sei dafür “eine geschlossene Partei”. Das Fernziel ist die Regierungsbeteiligung in Berlin 2029. Zumindest koalitionsfähig soll die Partei bis dahin sein. Daher halten Chrupalla und Weidel sich mit der zwar erfolgreichen, aber eigentlich verkorksten Europawahl nicht groß auf.

Keine Mehrheit für Kritik am “Hinterzimmer”

Konflikte blitzen am Samstag immer nur kurz auf, sie dominieren den Parteitag nicht. Die baden-württembergische Bundestagsabgeordnete Christina Baum, die in den vergangenen zwei Jahren Mitglied des Bundesvorstands war, sagt, “Absprachen in Form von Befehlen von oben oder Andienungen im Hinterzimmer” habe sie immer abgelehnt. Das ist offensichtlich gegen die Parteispitze gerichtet. Dies auch: Sie stehe “für eine Merkelisierung der Partei” nicht zur Verfügung. “Wir brauchen keine AfD, die eingehegt, zahm und langweilig ist.” Baum erhält anschließend lediglich 43 Prozent und schafft es damit nicht in den Bundesvorstand; gewählt wird ihr Gegenkandidat Marc Jongen – bislang ebenfalls Bundestagsabgeordneter, jetzt im Europaparlament, und ebenfalls aus Baden-Württemberg. Damit sind alle sechs Beisitzer Männer.

Es wäre falsch, den latenten Streit um die Zähmung der AfD als Konfliktlinie zwischen Moderaten und Radikalen zu sehen. So setzt sich beispielsweise Hannes Gnauck, Chef der rechtsextremen AfD-Nachwuchsorganisation Junge Alternative, gegen einen Mitbewerber aus Nordrhein-Westfalen durch, obwohl er damit schon der dritte Brandenburger im Vorstand ist.

Gnauck kombiniert Radikalität und die vor allem von Weidel beschworene Professionalisierung: Er fordert “Disziplin, Führungsstärke, Professionalisierung”. Weidel hatte vor ihrer Wiederwahl gesagt, die AfD habe in den vergangenen Jahren eine “Professionalisierung” erlebt, dennoch müsse die Kommunikation der Partei “unbedingt besser werden”.

An diesem Sonntag soll auf dem Parteitag ein Antrag diskutiert werden, der die Schaffung eines Generalsekretärs vorsieht. Weidel hat das Vorhaben im Vorfeld des Parteitags ausdrücklich unterstützt, da er “zur Professionalisierung der Partei” dazugehöre, wie sie bei ntv sagte. Dem Antrag zufolge soll es das Amt des Generalsekretärs aber erst ab 2025 geben – und auch nur dann, wenn es eine einfache Parteispitze gibt. Die Debatte darüber an diesem Sonntag könnte spannend werden.



Author: RoteRuhrarmee1920

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