Wiglaf Droste: Gehasst haben ihn (fast) alle


Wiglaf Droste war eine der prägenden publizistischen Figuren der (West-)Linken, einer der schärfsten Kommentatoren der Gemütslage des wiedervereinigten Deutschlands. Der Ostwestfale, der in Kreuzberg als Autor groß wurde, heimste mit dem »Niehmeier Schuhu«, dem Peter-Hille Literaturpreis, und dem Annette-von-Droste-Hülshoff-Preis höchste kulturelle Ehren ein. Die bürgerliche Presse empörte sich wahlweise über Droste – oder huldigte ihm, wie etwa die Süddeutsche Zeitung, die Droste als »Tucholsky unserer Tage« adelte. 2018 wurde dem zeitlebens kontrovers rezipierten Autoren mit dem »Göttinger Elch« der bedeutendste deutschsprachige Satire-Preis für das Lebenswerk verliehen. Eine Auszeichnung, die Droste, dem da schon der Tod ins Gesicht geschrieben stand, viel bedeutete. Auch wenn er eigentlich kein »Satiriker« sein wollte.

Droste schrieb als Kolumnist für die Taz, Neues Deutschland, die Titanic und Junge Welt und faszinierte mit seinen Bühnenshows als Vorleser und Sänger zunächst die Kreuzberger linksalternative Szene und bald ganz Deutschland. Seinen Weg säumten dabei Medienskandale, die ihm Verhaftungen und Klagen von Bundesministern einbrachten, er galt als heftigster Provokateur des Bildungsbürgertums und wurde auch innerhalb der Linken zum Hassobjekt. Nebenbei erfand Droste mit einer Handvoll Mitstreiter noch die Lesebühnen in Berlin.

Der Künstler, der niemanden schonte, war zugleich ein Mann, der sich selbst mit Alkohol zugrunde richtete. Soviel steht fest: Wiglaf Droste war eine prägende Künstlergestalt des wiedervereinigten Deutschlands, exponiertester Vertreter der Kreuzberger alternativen Szene, Protagonist und Zielscheibe der kulturellen Zerwürfnisse der deutschen Linken, sein Tod im Jahr 2019 ein Nachruf auf eine bis heute nicht abgeschlossene Epoche. Und obwohl er polarisierte wie kaum ein anderer und durch seine zahlreichen Skandale eine zweifelhafte öffentliche Bekanntheit erlangte, blieb eine Frage weitgehend unbeantwortet: Wer war dieser Wiglaf Droste, über den es sich so gut empören ließ?

Christof Meueler, Feuilletonleiter der sozialistischen Zeitung Neues Deutschland, war 21 Jahre bei wechselnden Medien Drostes Redakteur. Er begleitete den legendär streitbaren Autoren durch zahlreiche seiner regelmäßig losgetretenen Medienskandale, die immer wieder im Ende einer Zusammenarbeit gipfelten. Jenen Zerwürfnisse folgte gern und häufig ein öffentlich ausgetragener publizistischer Rosenkrieg, der sich durch genüsslich ausgewalzte Beschimpfungen und Pointen auszeichnete, ohne dass jemals ein Übermaß an Zurückhaltung zu bemängeln gewesen wäre. In der vorliegenden ersten Droste-Biografie lässt Meueler im Gespräch mit einer Vielzahl privater und beruflicher Wegbegleiter ein vielfältiges und dennoch und deswegen interpretationsfähiges Bild Drostes, einen Schattenriss der Künstlerpersönlichkeit, entstehen.

Mitte der 1980er war Wiglaf Droste, wie so viele Kinder der westdeutschen Provinz, nach West-Berlin gekommen, um dem Mief der alten Bundesrepublik zu entgehen. Nach ersten Kulturkritiken schrieb er bald regelmäßig für die neue Medienseite der Taz. Sein Talent zu Polemik und Witz konnte niemandem entgehen. 1987 wurde er Redakteur der Medienseite und sorgte bald für den ersten seiner vielen Skandale. Im Februar 1988 ließ Erich Honecker den Liedermacher und Bürgerrechtler Stefan Krawczyk ausbürgern. Droste bedauerte das in einem Artikel, schließlich hätten »authentisch-östliche Schmerzensmänner mit starker Neigung zum Dissidieren« trotz im Einzelfall völliger »Talentlosigkeit« »allerbeste Erfolgsaussichten« in der BRD, sodass an Honecker die »Bitte um humanitäre Hilfe« erging: »Nimm ihn zurück, Erich!«

Sexismus als Mittel der Provokation

Nur wenige Monate später sorgte eine Letzte Seite zum Thema »Porno« für Aufsehen, die einen Tag nach dem Internationalen Frauentag erschien. Der zuständige Redakteur Helmut Höge hatte Droste gebeten, einen Text über seine einschlägigen Erfahrungen zu verfassen. Diese beschränkten sich laut Drostes Beitrag auf einen in Jugendjahren gesehenen Film »mit zwei Frauen und einem Dackel«, den er »abtörnend« gefunden habe, weswegen ihm »Pornographie am Arsch vorbei« gehe.

Tage später folgte ein Artikel der Taz-Frauenredakteurin Maria Nef-Utthoff auf der Ersten Seite, in dem diese Höge und Droste vorwarf, »feministische Positionen und Arbeit lächerlich zu machen«, sowie eine in der Redaktion per Abstimmung beschlossene einwöchige Suspendierung der beiden.

Während Höge sich in der Folge reumütig zeigte, wunderte sich Droste öffentlichkeitswirksam auf der Medienseite, dass in einer »sauberen Zeitung«, in der »man sich gegenseitig zu pädagogisch wertvolleren Menschen erziehe«, eine »eher überflüssige, mit gespielter Naivität das Reizthema ›Porno‹ ironisch verhandelnde Letzte Seite […] einen Sturm im Wasserglas« verursache, während »täglich seitenweise komplett überflüssige Taz-Seiten« voller »betäubender Ärmelschonerprosa« ungestraft »weggedruckt« würden.

Es blieb nicht der letzte Skandal Drostes bei der Taz: Es folgten eine Verhaftung wegen schweren Landfriedensbruchs und gefährlicher Körperverletzung bei der Revolutionären 1. Mai-Demonstration. Die Vorwürfe wurden nach einigen Tagen Untersuchungshaft als gegenstandslos fallen gelassen. Augenzeugen berichteten, der betrunkene Droste sei nur wegen seines lächerlichen Outfits, er trug einen hautengen Strampelanzug, verhaftet worden.

Später kam es in der Kontroverse um den Autor Thomas Kapielski, der in einem Artikel über die Inhumanität der Berliner Technokultur die Zustände auf den Dancefloors der Kellerclubs mit dem Wort »gaskammervoll« beschrieben hatte, zu einer öffentlichen Schlammschlacht. Nachdem der Vorwurf der Holocaustverharmlosung erhoben war, schwang sich Droste zum lautesten und polemischsten Fürsprecher Kapielskis auf. Die moralische Selbstgefälligkeit der deutschen Aufarbeitung stieß ihm auf. Die größte faschistische Gefahr sah Droste gerade von konservativen Politikern und einem ritualisierten Gedenken ausgehen, das die historische Singularität des Holocaust und dessen dämonische Unerklärbarkeit inszenierte. In Drostes Augen begann Faschismus im Kleinen und Alltäglichen, und eine Sprache, die daran erinnerte und den Deutschen hart und pointiert vor Augen führte, dass es stets nur eines kleinen Schrittes in die Unmenschlichkeit bedarf, erschien ihm vollkommen angemessen. Eine begründete Position freilich, die im konkreten Streit um die gewiss diskutable Verwendung des Wortes »gaskammervoll« durch Kapielski unterging.

Im Oktober 1988 endete Drostes Zeit bei der Taz. Er kündigte und warf der Zeitung, die sich zunehmend seriöser gab, in Konkret eine »Weizsäckerisierung« vor: »Im Chor der guten Christen ist die Taz auf den Part des kritischen Konfirmanden abonniert«. Damit spielte er auf die Rede des Bundespräsidenten am 8. Mai 1985 an, der zum 40. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs die Wendung »Tag der Befreiung« prägte. Das war in den Augen vieler linker Intellektueller seinerzeit eine verlogene und zur Schau gestellte Beflissenheit im Umgang mit deutscher Schuld, nah an der Selbstvergebung durch Erinnerung, waren doch die allermeisten Deutschen überzeugte Nationalsozialisten und fühlten sich 1945 gewiss nicht befreit, sondern geschlagen.

Zum Redakteur wahrlich nicht geboren, stieg der Stern Drostes als satirischer Autor immer höher. Auch, dass ihn Verteidigungsminister Manfred Wörner wegen Beleidigung der Bundeswehr anzeigte, war seinem Nimbus zuträglich. Mit Michael Stein, Dr. Seltsam und Cluse Krings gründete Droste die Höhnende Wochenschau als Gegen-Taz und Live-Zeitung. Das war die Geburt der Berliner Lesebühnenszene. Aus dem Projekt ging das Benno-Ohnesorg-Theater hervor, ein Format, das Droste bis 1994 erfolgreich an der Volksbühne fortführte und in dem Sibylle Berg, Fritz Eckenga, Harry Rowohlt, Funny van Dannen und weitere linke Künstler groß herauskamen.

Das humoristische Tätigkeitsfeld Drostes erweiterte sich. Mit Bela B. nahm er 1989 seine erste Single auf und ging immer öfter allein auf Lesetour. Im Frühjahr 1990 heuerte Droste bei der Titanic an und schrieb dort gewohnt pointiert gegen den nationalen Wiedervereinigungstaumel an, in dem sich Ost und West in »in seliger Kumpanei« vereinen würden für das »unteilbare Menschenrecht, ein Arschloch zu sein«. Die Ost-Deutschen würden sich, so Drostes Prognose, mit »der Rolle als Zwote-Wahl-Deutscher« abfinden, sofern Ihnen »die Scheißpolacken, Schlitzaugen und Knoblauchfresser« als »Objekt der Verachtung« ausgeliefert blieben. Womit er als West-Linker beeindruckend präzise die Baseballschlägerjahre voraussagte.

Anfang der 1990er Jahre wurde Droste an der Seite weiterer, von Punk-Kultur und Gonzo-Journalismus inspirierten Schreibern wie Max Goldt, Maxim Biller, Rainald Goetz, Clara Drechsler oder Diedrich Diedrichsen zu einem der aufregendsten Vertreter des politischen Subjektivismus, aus dem später die deutsche Popliteratur hervorging. Und schrieb ab 1992 für Neues Deutschland, ein journalistischer Coup, den der PDS-Politiker Volker Külow einfädelte. Dessen Vater Edgar war Kabarettist und über die Titanic mit Droste bekannt. Mit Polemiken gegen den Stasi-Unterlagen-Behörden-Chef und späteren Bundespräsidenten Joachim Gauck, die Antifa und Kirche im Osten erschrieb sich Wiglaf Droste Rügen des Presserats, körbeweise empörte Leserbriefe und den Rauswurf nach zwei Jahren der Zusammenarbeit.

Skandalumwitterter Starautor

Ab 1993 rutschte Droste, wie immer zu keinerlei Zugeständnissen bereit, zudem immer tiefer in seinen größten Skandal, der ihn innerhalb der linken Szene zur Persona non grata für viele machte. Der Dokumentarfilmer Winfried Bonengel hatte unter dem Titel »Beruf: Neonazi« einen Film über Bela Ewald Althans gedreht, der als NPD-Politiker antrat, ein Anführer der Neonaziszene und Holocaust-Leugner war. Die im Film gezeigten Bilder blieben unkommentiert, was von Teilen der Linken als faschistische Propaganda verurteilt wurde. Droste hatte den Film in ND hingegen als »klar und unmissverständlich« gelobt.

Nachdem der Film von der Berlinale abgelehnt und vom Max-Ophüls-Festival abgesetzt wurde, wollten ihn Wiglaf Droste und Christoph Schlingensief im Kreuzberger SO36 vorführen lassen und diskutieren. Detlef Kuhlbrodt schrieb in der Taz voller Empörung von einer Provokation durch den »Haudraufkritiker« und den »Haudrauffilmer«. Die Veranstaltung musste abgesagt werden, nachdem beim SO36 ein Drohschreiben von Kreuzberger Autonomen eingegangen war, in dem Schlingensief und Droste als »Zeitgeistsurfer« bezeichnet wurden, »für die Faschismus, Patriarchat, Rassismus, nur Stoff für ihre geldbringenden Zynismen« seien.

Droste und Schlingensief wichen in die Volksbühne aus und im SO36 wurde stattdessen öffentlich über die Absage diskutiert. Anwesende Kritiker brandmarkten Droste dabei als moralisch höchst zweifelhafte Person. Schließlich habe er sich mit erwähnter Porno-Seite bereits als Sexist zu erkennen gegeben. Da Droste zudem im Radio der von Gewaltandrohungen heimgesuchten Publizistin Katharina Rutschky beigepflichtet hatte, die in der seinerzeit heißgelaufenen Debatte um männlichen sexuellen Missbrauch weniger Effekthascherei und Wissenschaftlichkeit forderte, stand für Teile der linken Szene fest: Droste ist ein Sexist, der selbst Profiteurinnen von Kindesmissbrauch – ein Vorwurf, der gegen Rutschky erhoben worden war – schütze.

Im Autonomen-Diskussionsblatt Interim erschien ein Beitrag, der diktierte: »Mit Droste haben keine Veranstaltungen stattzufinden.« In der Folge kam es zu einer breiten Allianz autonomer und feministischer Gruppen, die unter dem Motto »Kein Raum für Täterschützer!« Drostes Lesungen blockierten. Droste reagierte auf seine Art und veröffentlichte in der Titanic einen Artikel, in dem sein lyrisches Ich im Park einem Mädchen Schokolade schenkt und dann in Erwartung eines Lynchmobs, der ihn zum »Michael Jackson des Görlitzer Parks« machen will, in Panik gerät und flieht vor »[den] Schabracken, die im Leben immer nur eins sein wollen, nämlich Opfer sein, natürlich im warmen Mief der Gruppe«.

In der Folge wurde Drostes gesamte Lesetour von Demonstrationen begleitet, Veranstalter mit Telefonketten unter Druck gesetzt, Bühneneingänge mit Kot beschmiert und Besuchende der Veranstaltungen teils handgreiflich attackiert. Wurden in der Folge Lesungen von Droste abgesagt, überließ dieser die Bühne nicht selten befreundeten Autorinnen und Autoren, um dann ohne Zwischenfälle als deren Überraschungsgast aufzutreten. Es waren nicht die letzten Überraschungen im Künstlerleben Wiglaf Drostes.

Ein Leben in ständiger Opposition

Ab 1994 schrieb Droste für die Junge Welt als Kolumnist und feierte mit seinen Lesetouren, seinen immer häufigeren Ausflügen in die Musik und seinen Büchern, die in der Edition Nautilus und bei Klaus Bittermanns Edition Tiamat erschienen, große Erfolge.

Nach Drostes späterer Trennung im Streit von der Jungen Welt machte dieser verstärkt als Swing-Sänger auf sich aufmerksam, wurde Mitherausgeber einer kulinarisch-humoristischen Kulturzeitschrift und schloss sogar noch publizistischen Frieden mit dem Osten Deutschlands. Ab Mitte der 2000er häuften sich bei Droste, der wohl seit den 1980er Jahren Alkoholiker war, Ausfälle als Künstler und auch das Privatleben des Menschen, von dem es hieß, er habe nie Möbel besessen, sei große Teile seines Lebens nicht krankenversichert gewesen und habe von sich aus nie Steuern gezahlt, verschattete sich zunehmend. In den letzten Jahren seines Lebens wurde es öffentlich stiller um Droste, sein Gesundheitszustand verschlechterte sich. 2019 starb er im Alter von 57 Jahren an den Folgen einer Leberzirrhose.

Wiglaf Drostes Werk stand für eine neue Form der Gesellschaftskritik, formuliert im Sound der 1980er Jahre Kreuzbergs, subjektiv und äußerst polemisch. Zum Provokateur des linksalternativen Milieus wurde Droste vor allem durch seine künstlerische Verweigerung dessen, was später als Political Correctness diskutiert wurde.

Dass die Kunstfreiheit der Satire von der bürgerlichen Gesellschaft in Sonntagsreden verteidigt und im Alltag nicht selten juristisch beschnitten wird, führte sein Exempel ebenso auf, wie es das Unverständnis zeigt, auf das Uneigentlichkeit und Humor in Teilen der Linken treffen.

Satire wird oft als eine Form frecher Spaßmacherei akzeptiert und abgewertet zugleich, da diese im Zweifelsfall eben nicht ernst zu nehmen ist. Dabei ist Satire unzweifelhaft eine ernste Angelegenheit, die genau solange als Spaßmacherei toleriert wird, bis sie dem Establishment tatsächlich ans Privileg rührt. Was jeweils Establishment ist, war für Droste nicht nur eine Frage der Klasse oder des Geldes, sondern in erster Linie der kulturellen Hegemonie im jeweils adressierten Kosmos.

Neben dem vermeintlich liberalen Bildungsbürgertum, an dem Droste vor allem das Philisterhafte hasste, legte er sich bevorzugt mit der linksalternativen Szene an, die er von innen immer wieder heftig für wahrgenommene Selbstgerechtigkeit attackierte. »Zufriedensein mit dem eigenen Linkssein, so etwas fand Wiglaf zeitlebens ekelhaft«, schreibt Meueler.

Die Droste-Biografie Meuelers ist en passant ein Lesebuch über die Mentalitätsgeschichte der westdeutschen Linken nach der Wiedervereinigung und eine kleine Kulturgeschichte des zeitgenössischen Satire-Verständnisses. Lesenswert.



Author: AFP Deutschland