Wie Vietnam Wladimir Putin, Joe Biden und Xi Jinping umgarnt


Innert neun Monaten haben die Präsidenten Amerikas, Chinas und Russlands Vietnam besucht. Die Machthaber in Hanoi wissen die grossen Mächte gegeneinander auszuspielen.

Der vietnamesische Präsident To Lam (links) und sein russischer Amtskollege schreiten zu Beginn des Staatsbesuchs die Ehrengarde in Hanoi ab.

Der vietnamesische Präsident To Lam (links) und sein russischer Amtskollege schreiten zu Beginn des Staatsbesuchs die Ehrengarde in Hanoi ab.

Gavriil Grigorov / AP

Russlands Präsident Wladimir Putin hat mit seinem Besuch in Vietnam einen aussenpolitischen Erfolg erzielt. Er hat gegenüber Amerika und Europa demonstriert, dass er aussenpolitisch nicht isoliert ist, und mit seinem vietnamesischen Amtskollegen To Lam elf Kooperationsabkommen unterzeichnet. So soll ein Forschungszentrum für Atomwissenschaft und Kerntechnologie in Vietnam entstehen. Aus Putins Sicht handelt es sich dabei um Nebensächlichkeiten. Die eigentliche Botschaft lautet, dass er trotz dem Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs wieder zurück auf der Weltbühne ist.

Die amerikanische Botschaft in Hanoi reagierte denn auch pikiert. Ein Sprecher sagte der Nachrichtenagentur Reuters, kein Land sollte Putin eine Plattform geben, um für seinen Angriffskrieg zu werben, und ihm erlauben, seine Greueltaten zu normalisieren. Der Besuch wird dennoch die amerikanisch-vietnamesischen Beziehungen kaum belasten, denn Vietnam spielt als Gegengewicht zu China in Amerikas Indopazifik-Strategie eine zu wichtige Rolle. So wird der Leiter der Ostasienabteilung des amerikanischen Aussenministeriums, Daniel Kritenbrink, an diesem Freitag und Samstag nach Hanoi reisen.

Hanoi ist Moskau dankbar

Vietnam demonstriert mit dem Staatsbesuch Putins aussenpolitische Flexibilität und die Kunst, grosse Mächte für die eigenen Interessen einzuspannen und gegeneinander auszuspielen. Vom Generalsekretär der Kommunistischen Partei Vietnams, Nguyen Phu Trong, stammt die Wendung, das Land verfolge eine Bambus-Aussenpolitik. Die Pflanze hat starke Wurzeln, einen kräftigen Stamm sowie flexible Äste, die sich im Wind biegen, ohne zu brechen.

Hanoi will mit allen Ländern gute Beziehungen pflegen, ohne Partei zu ergreifen. Wie erfolgreich diese Strategie ist und wie begehrt Vietnam ist, zeigen die Staatsbesuche in den vergangenen neun Monaten: Im September vergangenen Jahres war der amerikanische Präsident Joe Biden in Hanoi, drei Monate später folgte der chinesische Staatschef Xi Jinping, und nun kam Putin.

Mit der Bambus-Diplomatie lässt sich das Verhalten Vietnams nach der russischen Invasion der Ukraine erklären. Für Hanoi sind wegen der eigenen historischen Erfahrung internationale Prinzipien wie die Souveränität und die territoriale Integrität eines Landes zwar sakrosankt.

Die kommunistischen Machthaber verhalten sich dennoch neutral und stimmten im April 2022 bei der Uno gegen die Resolution Amerikas, Russland aus dem Menschenrechtsrat auszuschliessen. Auch an der Ukraine-Konferenz auf dem Bürgenstock nahm Vietnam nicht teil. Die Machthaber in Hanoi erachteten – wie die Chinesen – die Veranstaltung ohne Teilnahme der Russen als sinnlos.

Für die neutrale Haltung Hanois im Ukraine-Krieg gibt es historische, militärische und ökonomische Gründe. Die kommunistischen Machthaber haben nicht vergessen, dass die Sowjetunion sie im Kampf gegen die französischen Kolonialisten und die amerikanischen Invasoren militärisch unterstützte. Ironischerweise stammten viele der damals gelieferten Waffen aus ukrainischer Produktion.

Die Sowjetunion versorgte das geschundene Land nach dem Abzug der amerikanischen Truppen mit Nahrungsmittellieferungen und bildete zahlreiche Kaderleute der Kommunistischen Partei, unter ihnen den heutigen Generalsekretär Nguyen Phu Trong, in Moskau aus. Diese Hilfe haben die Vietnamesen nicht vergessen. Der vietnamesische Präsident To Lam sagte: «Wir werden uns immer mit Dankbarkeit an die selbstlose Hilfe und Unterstützung erinnern, die das russische Volk Vietnam in unserem Kampf für die Unabhängigkeit zukommen liess.»

Wird Russland zum Juniorpartner Chinas?

Auch militärisch sind die beiden Länder eng verbunden. Zwischen 1995 und 2015 kamen 90 Prozent der importierten Waffen Vietnams aus Russland. Allerdings sind die Einfuhren in den vergangenen Jahren eingebrochen, weil Vietnam diversifiziert und militärisches Gerät aus Frankreich, Israel, Japan und Südkorea gekauft hat.

Zudem führen die Kämpfe in der Ukraine den Befehlshabern des vietnamesischen Militärs vor Augen, welche Schwächen das russische Material hat. Der Umbau der Waffensysteme braucht jedoch Zeit. Vietnam wird auch in den kommenden Jahren noch auf russische Importe angewiesen sein und sich nur schrittweise davon verabschieden.

Russland ist auch ein wichtiger Joint-Venture-Partner bei der Förderung von Gas und Öl im Südchinesischen Meer. Pikant daran ist, dass sich die Förderstellen zwar in der Ausschliesslichen Wirtschaftszone Vietnams befinden; auf die Gebiete erhebt jedoch auch China auf Grundlage der «Nine-Dash-Line» Ansprüche.

Hanoi verfolgt die Annäherung zwischen China und Russland mit Argwohn. Es besteht die Sorge, dass sich Moskau als Juniorpartner auf Drängen Pekings von Vietnam lossagt. Die Ängste sind derzeit unbegründet, denn die russische Regierung ist noch zu mächtig und würde bei solch einem untertänigen Verhalten weltweit zum Gespött.

Zudem ist China pragmatisch. Beschädigen die chinesischen Machthaber das Verhältnis mit Vietnam, besteht die Gefahr, dass Hanoi die Partnerschaft mit Washington intensiviert. Der Besuch Putins zeigt, wie gut sich Vietnam im geopolitischen Machtpoker zwischen Amerika, China und Russland positioniert hat.



Author: RoteRuhrarmee1920

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