Verurteilung von Höcke: „Herr Höcke lotet die Grenzen des Machbaren aus“, sagt der Richter


Was politische Justiz ist, sagt Jan Stengel, wisse er genau. Zum Beispiel, als ein DDR-Bürger für einen Witz über Walter Ulbricht sechs Monate in den Knast musste. „Der Witz ist, dass Sie den Witz im Urteil nicht lesen konnten“, sagt Stengel. Noch nicht einmal dort habe er auftauchen dürfen. Als Richter am Landgericht Halle untersucht Stengel alte DDR-Urteile auf ihre Rechtsstaatlichkeit.

Und dann wendet sich Stengel, an diesem Tag Vorsitzender Richter der fünften Strafkammer, dem Angeklagten zu: Björn Höcke, Spitzenkandidat der Thüringer AfD zur Landtagswahl im September. Stengel verurteilt Höcke wegen der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zu einer Geldstrafe von 130 Tagessätzen à 130 Euro, also insgesamt 16.900 Euro.

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Das Gericht sieht es als erwiesen an, dass der AfD-Politiker bei einer Rede auf einer Parteiveranstaltung im Dezember 2023 in Gera das Publikum dazu „veranlasst“ hat, die Parole „Alles für Deutschland“ zu vollenden. Die Parole gilt als eine Losung der nationalsozialistischen Sturmabteilung (SA), war etwa auf der Klinge des Dienstdolchs eingraviert. Zum Zeitpunkt der Rede in Gera war Höcke bereits wegen der Nutzung der Parole bei einer Rede in Merseburg in Sachsen-Anhalt 2021 angeklagt. Im Mai dieses Jahres wurde er in Halle zu einer Geldstrafe verurteilt.

In Gera berichtete Höcke auf der Bühne vom bevorstehenden Prozess in Halle. Und wiederholte die betreffenden Worte. Nur sagte er nicht „Alles für Deutschland“, sondern lediglich „Alles für … “. Teile des Publikums riefen daraufhin „Deutschland“. Höcke habe das durch animierende Handbewegungen zudem befördert und, so das Gericht, gar eine „mimische Zustimmung“ gezeigt.

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Höcke hätte das erste Verfahren abwarten können, doch habe bewusst erneut auf die Parole zurückgegriffen. „Herr Höcke wartet einfach nicht und lotet aus: die Grenzen des Machbaren“, so Stengel. Dies passe zu vorherigen Aussagen Höckes, etwa für eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“. Ein Blick quer durch Europa zeige, dass man verhindern müsse, „dass alte Symbole aus der NS-Zeit wieder salonfähig werden“.

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„Warum stehe ich vor der großen Strafkammer?“, fragte Höcke zuvor in seinem letzten Wort. „Weil ich Björn Höcke bin, deswegen.“ Im Wahljahr wolle man ihm einen „Maulkorb“ verpassen. Die Parole habe er in einer freien Rede wiederholt, um vom damals laufenden ersten Verfahren zu berichten. Er habe sie bewusst nicht ausgesprochen, um nicht erneut eine mögliche Straftat zu begehen. Zuvor bekräftigte der frühere Geschichtslehrer, nicht gewusst zu haben, dass es sich um eine SA-Losung handelte.

Höcke stellt sich in eine Reihe mit Jesus und Assange

In einer Videobotschaft gab Höcke seinen Anhängern kürzlich ein „Versprechen“: Man werde diese „politischen Schauprozesse“ aufarbeiten und eine „neutrale Justiz“ wiederherstellen. Als Schauprozess werden Verfahren bezeichnet, mit denen totalitäre Regime gegen Gegner vorgehen – das Ergebnis steht dabei schon fest. Im Schlusswort bekräftigte Höcke diesen Plan. Es solle Untersuchungsausschüsse geben, in denen die Justiz auf Neutralität untersucht werde, betont er in Richtung des Staatsanwalts Benedikt Bernzen. Dieser nannte Höckes Ankündigung zuvor eine angedrohte „Säuberung“.

Noch schriller klang der Rechtsextremist bei einer Rede am 1. Mai 2024 in Hamm. Ein Auszug der Rede wird am Montag vor Gericht abgespielt. „Das sind die letzten Zuckungen“, sagte Höcke damals zum Verfahren gegen sich. „Nach der Justizkeule kommt nicht mehr viel.“ Man habe ihn „falsch verstanden“, weil man ihn habe falsch verstehen wollen – und weil er die „Machtfrage“ stelle. Und dann stellte Höcke sich in eine Reihe mit anderen „Justizopfern“: Sokrates, Julian Assange, Jesus Christus.

Staatsanwalt Benedikt Bernzen

Staatsanwalt Benedikt Bernzen

Quelle: via REUTERS

Der Unterstützung seiner Parteispitze konnte Höcke sich indes sicher sein. „Kinderkacke“ sei die Debatte um die SA-Parole, so AfD-Bundessprecherin Alice Weidel in einem ARD-Interview auf dem AfD-Bundesparteitag am Sonntag in Essen.

Höckes Anwalt Ralf Hornemann behauptet eine „geradezu pathologische Vergangenheitsbewältigung“ in Deutschland. Dies sieht er neben dem Verfahren gegen Höcke etwa im Verbot des Kürzels „88“ auf Autokennzeichnen. Das Kürzel steht in der Neonazi-Szene aufgrund des achten Buchstabens im Alphabet für „Heil Hitler“. Das Verfahren sei zudem Ausdruck eines „Verurteilungseifers“ der Staatsanwaltschaft, so Hornemann.

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Höckes zweiter Verteidiger, Florian Gempe, sieht zudem keinen gemeinschaftlichen Tatentschluss Höckes mit der Gruppe an Anhängern, die „Deutschland“ riefen. Die Handbewegungen Höckes seien „intuitiv und spontan“ als Teil einer freien Rede gewesen und nicht etwa eine gezielte Aufforderung. „Der Angeklagte bewegte ständig seine Hände.“

Vor dem Europäischen Gerichtshof wolle er nachweisen, dass die Losung „Alles für Deutschland“ keine SA-Parole ist, kündigt Höcke an. Sie sei zuvor auch durch Hitler-Gegner, Sozialdemokraten und die SED verwendet worden. Er selbst sehe keine Straftat. „Ich bin unschuldig.“

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Das Gericht lehnte zuvor Anträge auf die Befragung weiterer Sachverständiger, etwa eines Historikers, ab. Die SA sei eine verfassungswidrige Organisation, daran bestehe kein Zweifel, so der Vorsitzende Richter. Das Kennzeichen ergebe sich aus der Gravur auf dem Dolch. Und die fehlende Bekanntheit der Parole? „Es spielt keine Rolle, dass es keiner wusste“, so Stengel. Als Höcke das hört, greift er hektisch zu einem Stift und macht sich Notizen.

„Der Angeklagte handelte vorsätzlich. Punkt“, sagte zuvor auch Staatsanwalt Benedikt Bernzen in seinem Plädoyer. Höcke habe zum Zeitpunkt der Rede in Gera gewusst, dass ihm wegen der Parole „Alles für Deutschland“ bereits ein Verfahren bevorstehe. Die Bühne in Gera habe er genutzt, um diese Parole bewusst zu „inszenieren“, so Bernzen. Dies habe zudem eine vielfach in Vergessenheit geratene Parole wiederbelebt, betont der Staatsanwalt. Höcke habe eine propagandistische Wirkung erzielen wollen, da er die Parole ohne Anlass einführte – und sie gar mit dem bevorstehenden Prozess in Halle einführte.

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Dass Höcke lediglich „Alles für“ sagte und das Publikum die Parole vollendete, ist nach Ansicht der Staatsanwaltschaft unerheblich – schließlich gelte eine Mittäterschaft auch dann, wenn nicht alle Beteiligten jede einzelne Tathandlung selbst verübt hätten. „Mittäter, sogar Bandenmitglieder müssen sich untereinander gar nicht kennen“, sagte Bernzen. Das Publikum habe nur „Deutschland“ gerufen, weil Höcke „Alles für“ sagte und eine „einladende Handbewegung“ gemacht habe. Es handele sich um ein „Paradebeispiel für eine gemeinschaftliche Tatbegehung“, so der Staatsanwalt.

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Bernzen beantragte gar eine Freiheitsstrafe von acht Monaten, die für zwei Jahre auf Bewährung ausgesetzt werden sollte. Zudem solle er 10.000 Euro an eine gemeinnützige Organisation, etwa die KZ-Gedenkstätte im thüringischen Buchenwald, zahlen.

Der Staatsanwalt beantragte zudem, Höcke für zwei Jahre von politischen Ämtern auszuschließen. Als Bernzen das sagt, zieht Höcke erstaunt die Augenbrauen hoch. Wäre das Gericht dem gefolgt, hätte Höcke im Herbst nicht erneut in den Landtag einziehen können. Die AfD steht derzeit in Umfragen bei mehr als 30 Prozent der Stimmen in Thüringen.



Author: RoteRuhrarmee1920

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