Scholz bekennt sich zur Migrationsbegrenzung – doch sofort wird Unmut laut


Bei dieser Ministerpräsidenten-Konferenz (MPK) in Berlin war die Stimmung der Regierungschefs von Bund und Ländern schon im Vorfeld gereizt. Kanzler Olaf Scholz (SPD) hatte sich Anfang der Woche mit den Ministerpräsidenten der ostdeutschen Länder getroffen. Sachsen-Anhalts Regierungschef Reiner Haseloff (CDU) äußerte sich dabei erschüttert über die politische Stimmung im Land und forderte eine klare Wende in der Migrationspolitik.

„Dem Kanzler ist angesichts der Zuwanderungszahlen offenbar die Brisanz der Lage nicht klar. Er meint wirklich, dass das, was die Bundesregierung tue, ausreicht“, empörte sich ein Amtskollege Haseloffs noch am Donnerstag in Berlin.

Die Ministerpräsidenten von CDU und CSU haben festgestellt, dass in den ersten fünf Monaten rund 110.000 Asylanträge gestellt wurden und etwa noch mal so viele Ukrainer ins Land gekommen sind. Ende des Jahres könnte diese Zahl auf insgesamt 400.000 wachsen. Die Unionsregierungschefs nahmen sich daher vor, dem Kanzler bei der MPK weitere Maßnahmen zur Eindämmung der Migration abzuringen.

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Scholz wiederum hatte sich offenbar vorgenommen, sich nicht treiben und auf konkrete Beschlüsse festlegen zu lassen. Und die SPD-Ministerpräsidenten waren in der misslichen Lage, zwar mit den Problemen der hohen Migrantenzahlen konfrontiert zu sein, aber dem eigenen Kanzler nicht in den Rücken fallen zu wollen.

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Dem MPK-Vorsitzenden und hessischen Regierungschef Boris Rhein (CDU) sowie seinen Amtskollegen der Union gelang es dann aber, die SPD-Regierungschefs bei einer Reihe von Maßnahmen auf ihre Seite zu ziehen und einen gemeinsamen Beschluss mit Handlungsaufforderung an die Bundesregierung zu fassen. Etwa beim umstrittenen Plan, Asylverfahren in Ländern außerhalb der EU durchzuführen. Dafür sollen nun entsprechende Modelle entwickelt werden.

Und am Ende ließ sich auch der Kanzler auf die zentralen Forderungen der Ministerpräsidenten zur Begrenzung der Migration ein, die vor allem die Unions-Regierungschefs vorangetrieben hatten.

Lesen Sie hier den Beschluss der MPK im Original

So sagte Scholz zu, bis zum nächsten Bund-Länder-Treffen im Dezember mitzuteilen, welche konkreten Vorschläge seine Regierung zur Auslagerung von Asylverfahren – die sogenannte Drittstaaten-Regelung – machen werde. Die Länder hatten vor dem Treffen gefordert, „konkrete Modelle“ für Asylverfahren in Ländern außerhalb der EU zu erarbeiten. „Das wird der Fall sein, wir sind auf einem guten Weg“, so Scholz.

Es wurde ferner vereinbart, zügig die Voraussetzungen dafür zu schaffen, „terroristische Gefährder konsequent auch nach Syrien und Afghanistan abzuschieben sowie die Ausweisungsregelungen bei Billigung terroristischer Straftaten zu verschärfen“.

Um Menschen ohne Aufenthaltsrecht abschieben zu können, soll die Bundesregierung den Abschluss von Migrations- und Rückführungsabkommen auf höchster politischer Ebene intensiv vorantreiben. Das betrifft insbesondere diejenigen Staaten, aus denen die meisten irregulären Zuwanderer mit geringen Anerkennungsquoten nach Deutschland kommen.

Zuletzt sollen die Grundlagen dafür geschaffen werden, Menschen, die in Deutschland Schutz suchen, aber bereits in einem als sicherer Drittstaat eingestuften Land Asyl beantragt hatten, unmittelbar an der Bundesgrenze zurückweisen zu können.

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Der abschließende Beschluss von Bund und Ländern zum Thema Migration liest sich nicht stark anders als die Vereinbarung, auf die sich die Landesregierungschefs untereinander bis zum Nachmittag verständigt hatten. Es war unter ihnen nicht erwartet worden, dass der Kanzler in so vielen Punkten mitgehen würde. Zum Beispiel bei der Drittstaaten-Regelung, die bei CDU und CSU zum entscheidenden Instrument der Migrationsbegrenzung stilisiert wird.

Noch am Morgen hatten sich die Ministerpräsidenten der SPD dagegen ausgesprochen. Die scheidende rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer etwa hatte nach Teilnehmerangaben erklärt, sie sehe eine Drittstaaten-Regelung skeptisch. Es sei nicht sinnvoll, Menschen, die Deutschland erreicht hätten, in ein anderes Land zur Durchführung des Asylverfahrens zu bringen, um sie nach Gewährung von Asyl wieder zurückzubringen.

Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig äußerte sich ebenfalls kritisch: Es müsse zunächst einmal geklärt werden, ob eine solche Regelung überhaupt möglich sei und welches die Vor- und Nachteile seien.

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Aber sämtliche Landesregierungschefs sehen die Überlastung der Kommunen angesichts der hohen Migrantenzahlen. Und ihnen steckt das Ergebnis der Europawahl mit dem starken Abschneiden in der AfD in den Knochen.

Als die Ministerpräsidenten am späteren Nachmittag zum Gespräch mit Scholz ins Kanzleramt wechselten, war die Stimmung trotz der Einigung angespannt. Die Ministerpräsidenten Haseloff aus Sachsen-Anhalt und Söder aus Bayern zeichneten nach Teilnehmerangaben ein düsteres Bild angesichts der Europawahl-Ergebnisse. Die Wähler würden nach und nach alle Parteien – Ampel wie Union – abstrafen, wenn die Zahl der Zuwanderer nicht sinke.

Und MPK-Chef Rhein konterte den Vortrag des Kanzlers, die Länder wurden sich durchaus Versäumnisse bei der Bewältigung der Zuwanderung und bei Abschiebungen leisten, nach WELT-Informationen mit dem Hinweis: Ein Schwarzer-Peter-Spiel helfe nicht weiter. Der Schlüssel zur Begrenzung der Migration liege beim Bund – und der nutze ihn nicht ausreichend. Offenbar zeigten diese Auftritte Wirkung.

Bayern und Sachsen machen ihrem Unmut Luft

Nun liegt, im Sprachbild Boris Rheins, ein ganzer Schlüsselbund auf dem Tisch. Und dennoch gibt es deutliche Kritik aus den Reihen der Unions-Ministerpräsidenten an dem Bund-Länder-Beschluss. So sind Maßnahmen wie konsequente Abschiebungen von Straftätern von Kanzler wiederholt angekündigt worden. Passiert ist seither: nichts.

Niedersachsens Regierungschef Stephan Weil (SPD, l.) und Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU, r.) mit dem Kanzler

Niedersachsens Regierungschef Stephan Weil (SPD, l.) und Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU, r.) mit dem Kanzler

Quelle: dpa

Rückführungsabkommen werden seit vielen Monaten mit einer Reihe von Ländern ausgehandelt, die Ergebnisse sind überschaubar. Der Bund hat entsprechende Abkommen mit Indien und Georgien geschlossen. Weitere sind in Arbeit, darunter mit der Republik Moldau, Kirgisistan, Usbekistan, Kenia und den Philippinen.

Nur: Aus diesen Ländern kommt das Gros der Schutzsuchenden in Deutschland eben nicht. Die stammen überwiegend aus Afghanistan, Syrien und der Türkei. Und mit diesen Regierungen will die Ampel entweder nicht verhandeln – oder sie zieren sich wie im Fall der Türkei.

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Auch der Beschluss zur Drittstaaten-Regelung ist längst nicht so eindeutig, wie es scheinen mag. Bei der Pressekonferenz mit Scholz, Rhein und Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) wurde klar, dass man darunter ganz unterschiedliche Regelungen verstehen kann – jedenfalls keinesfalls eine Festlegung auf ein Land, wie es Italien mit Albanien getan hat oder Großbritannien mit Ruanda. Wenn Kanzler und SPD-Ministerpräsidenten es so wollen, kann eine Drittstaaten-Regelung so aufgeweicht werden, dass sie kaum mehr wirkt.

Und all die genannten Maßnahmen haben eines gemeinsam: Es wird lange, wohl Jahre dauern, bis sie wirklich wirken. Die nächsten Wahlen sind aber im September, drei Landtagswahlen in Ostdeutschland, bei dem ein weiteres Erstarken der AfD befürchtet wird.

Kein Wunder daher, dass umgehend Kritik seitens der Union laut wurde: Bayern und Sachsen formulierten prompt mit harschen Worten eine Protokollerklärung zum Bund-Länder-Beschluss. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) erklärte, es brauche „endlich eine Verschärfung des Asylrechts“.

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Konkret fordern beide Bundesländer, ausreisepflichtige Straftäter und Gefährder, die nicht abgeschoben werden können, in Sofort-Arrest zu nehmen, bis sie freiwillig ausreisen. Wer die Rechtsordnung missachte und Straftaten begehe, müsse Leistungen gekürzt bekommen. Leistungen an Straftäter und Ausreisepflichtige seien auf das sogenannte physische Existenzminimum zu kürzen.

Bayerns Ministerpräsident Söder hatte kurz vor der MPK einen Fünf-Punkte-Plan zur Eindämmung der Migration vorgelegt, der unter anderem für Ausreisepflichtige eine massive Leistungskürzung und die Unterbringung in „Bundesausreisezentren“ vorsah. Das war selbst manch einem seiner CDU-Amtskollegen zu scharf. Einer meinte: „So ein Papier kurz vor einer MPK einfach von der Seitenlinie einzufliegen, funktioniert einfach nicht.“



Author: RoteRuhrarmee1920

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