Parteitag in Essen: Die vielen Probleme der AfD – und das große Aber


Vor ihrem Parteitag in Essen befindet sich die AfD in einer seltsamen Doppelsituation. Einerseits steht sie in Umfragen gut da. Andererseits ist sie vom Status anderer rechtsradikaler Parteien in Europa weit entfernt.

Die Liste der Probleme, auf die der AfD-Parteitag an diesem Wochenende eine Antwort geben müsste, ist lang. Ob es besonders klug war, Essen als Veranstaltungsort zu wählen, wird sich zeigen. In Essen vollzog die AfD 2015 einen deutlichen Rechtsruck und den Bruch mit Parteigründer Bernd Lucke. Danach dominierte Björn Höcke die Partei.

Auch andere Gründe hätten eigentlich gegen Essen gesprochen. Das Umfeld ist nicht gerade AfD-freundlich. Im Norden der Stadt holte die Partei bei der Europawahl zwar ostdeutsche Ergebnisse. Aber in NRW insgesamt kam sie bei der Europawahl nur auf Platz vier. Mehrere Gegendemonstrationen gegen den Parteitag in der Grugahalle sind angekündigt.

Ursprünglich hatte der Stadtrat von Essen von der AfD eine Selbstverpflichtungserklärung gefordert, dass auf ihrem Parteitag keine verbotenen Parolen verbreitet werden dürften: Sollte es doch passieren, hätte die AfD 500.000 Euro zahlen sollen. Das lehnte die Partei ab. Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen gab ihr Recht.

Es war ein Erfolg für die AfD in Zeiten, in denen es für sie nicht so rund läuft. Dabei soll in Essen eigentlich die Doppelspitze aus Alice Weidel und Tino Chrupalla im Amt bestätigt werden. Vor allem Chrupalla hat Anlass, sich über sein Wahlergebnis Sorgen zu machen – in der AfD gibt es Bestrebungen, auf eine Einzelspitze umzustellen. Das wäre dann Weidel, nicht er.

Ein Überblick über die vielen Probleme der AfD – mit einem großen Aber am Schluss.

Stress mit Platz eins und zwei bei der Europawahl

Noch immer laufen Vorermittlungen gegen Maximilian Krah und Petr Bystron, Platz eins und zwei der AfD bei der Europawahl. Die Politiker sollen Geld aus Russland und China (Krah) beziehungsweise aus Russland (Bystron) angenommen haben. Beide bestreiten die Vorwürfe, aus dem Wahlkampf wurden sie dennoch weitgehend herausgehalten. Nach der Wahl wurde Krah mit knapper Mehrheit aus der AfD-Gruppe im neuen Europaparlament geworfen. Für Bystron ließ die Gruppe die Unschuldsvermutung gelten.

Nazi-Sound im Wahlkampf

Krah hatte im Europawahlkampf nicht nur mit juristischem Ärger für Aufsehen gesorgt. Im Interview mit einer italienischen Zeitung sprach er verharmlosend über die SS, einer Terrororganisation in der Zeit der NS-Diktatur, die eine zentrale Rolle beim Holocaust spielte. Über diese Organisation sagte Krah, er werde “nie sagen, dass jeder, der eine SS-Uniform trug, automatisch ein Verbrecher war”.

Bruch mit der ID-Fraktion

Diese Äußerung war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Bis dahin saßen die Abgeordneten der AfD im EU-Parlament in der Fraktion “Identität und Demokratie” (ID), einem Zusammenschluss rechtsradikaler Parteien. Zentrale Partei in dieser Fraktion ist der französische Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen.

Für Le Pen, die seit Jahren bemüht ist, ihrer Partei ein bürgerliches Erscheinungsbild zu verpassen, waren Krahs Äußerungen ein Problem. Zugleich waren sie eine gute Gelegenheit, um zu zeigen, dass sie selbst mit den rechtsextremen Wurzeln ihrer Partei gebrochen hat: Sie sorgte dafür, dass die AfD aus der ID-Fraktion flog. Ohne Fraktion haben Abgeordnete im Europaparlament weniger Einfluss und weniger Geld.

Das Onkel-Problem

Die Parteien von Marine Le Pen und der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni gehören im Europaparlament unterschiedlichen Fraktionen an, haben aber eines gemeinsam: Sie sind erfolgreich. Le Pen hofft auf den Wahlsieg bei den anstehenden Parlamentswahlen in Frankreich an diesem und dem nächsten Sonntag. Meloni regiert bereits. Das gelang, weil diese Parteien ihren Ton gemäßigt haben (ob sie dadurch weniger gefährlich für die Demokratie geworden sind, ist eine andere Frage). Im Vergleich dazu ist die AfD der peinliche Onkel, mit dem auf dem Familientreffen niemand reden will.

Eine neue Fraktion soll es richten

Neben der ID-Fraktion gibt es auf europäischer Ebene auch den gleichnamigen Parteienverbund, dem auch die AfD angehört – noch. Dem Rauswurf will sie durch Austritt zuvorkommen. In einem Antrag für den Parteitag in Essen heißt es, die AfD solle “ab sofort selbstbewusst europapolitisch eine neue Führungsrolle” einnehmen und “keine faulen Kompromisse” mehr eingehen.

Neue Führungsrolle? Das könnte schwierig werden. Neben der ID-Fraktion von Le Pen und der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR), der Melonis Partei angehört, gäbe es dann eine weitere Rechtsfraktion. Es wäre ein Sinnbild: Im Europaparlament hat die AfD in der EKR-Fraktion angefangen und ist jetzt zu rechts für die ID-Fraktion. Statt sich zu professionalisieren, geht sie immer weiter nach rechts.

Bislang ist die Professionalisierung nur ein Plan

In Essen soll die AfD nach dem Willen der Parteispitze beschließen, dass es ab 2025 einen Generalsekretär gibt. Laut “Stern” steckt dahinter ein Vorhaben nach französischem Vorbild: Wie Marine Le Pen ihre Partei professionalisiert und “entteufelt” hat, soll Alice Weidel im Verbund mit dem Bundestagsabgeordneten Sebastian Münzenmaier und seinem Netzwerk die AfD reformieren und modernisieren. Langfristig soll es auch nur noch eine Parteichefin geben, auch wenn Weidel in Essen noch im Doppelpack mit Tino Chrupalla antritt. Eine Vorsitzende, ein Generalsekretär: beides sind Maßnahmen, mit denen der “gärige Haufen”, wie der frühere AfD-Chef Alexander Gauland seine Partei mal genannt hat, organisiert werden soll.

Wahlergebnisse und Umfragen

Bei der Europawahl am 9. Juni kam die AfD auf 15,9 Prozent, ein Plus von 4,9 Punkten im Vergleich zur Wahl 2019. Sie lag damit auf Platz zwei – ein klarer Erfolg. Aber so richtig zufrieden kann die AfD mit diesem Ergebnis nicht sein. In den Umfragen stand sie noch vor wenigen Monaten sehr viel besser da. Im Dezember erreichte sie im RTL/ntv-Trendbarometer 23 Prozent. Aktuell sind es 16.

Das Treffen von Potsdam

Der Abschwung in den Umfragen war vor allem eine Folge der Enthüllung des Treffens von Rechtsradikalen in der Nähe Potsdam Ende 2023. Am Potsdamer Lehnitzsee hatten unter anderem AfD-Politiker dem Vortrag eines österreichischen Rechtsextremen über einen “Masterplan zur Remigration” gelauscht. Nach dem Treffen begannen nicht nur überall in Deutschland große Demonstrationen gegen die AfD und für die Demokratie. Mit diesem Treffen fingen auch die öffentlichen Differenzen zwischen Le Pen und der AfD an. Im Februar reiste Weidel sogar nach Paris, um die Beziehungen zwischen AfD und RN zu kitten. Vergeblich.

Verfahren gegen die AfD

Parallel zur Berichterstattung über das Treffen von Potsdam und seine Folgen liefen mehrere Verfahren gegen die AfD beziehungsweise gegen AfD-Politiker. Der zentrale Prozess fand vor dem nordrhein-westfälischen Oberverwaltungsgericht in Münster statt. In zweiter Instanz wollte die AfD dem Bundesamt für Verfassungsschutz untersagen, die Partei als rechtsextremistischen “Verdachtsfall” einzustufen.

Die AfD unterlag. Der Verfassungsschutz prüft nun, ob er noch einen Schritt weitergeht und die Partei insgesamt als gesichert rechtsextremistisch einstuft. Bislang ist dies für die Jugendorganisation passiert und mit dem offiziell aufgelösten “Flügel” um den Thüringer AfD-Chef Björn Höcke. In Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt haben die dortigen Landesämter für Verfassungsschutz die jeweiligen Landesparteien der AfD als gesichert rechtsextremistisch benannt.

Die Höcke-Prozesse

Ein Schlaglicht auf das Verhältnis von AfD und Nationalsozialismus hat nicht nur Maximilian Krah mit seinen Äußerungen zur SS geworfen. Auch die Prozesse gegen Höcke vor dem Landgericht Halle haben daran erinnert, dass dem Thüringer AfD-Chef bereits vor Jahren vorgeworfen wurde, eine “Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus” zu haben – so formulierte es der damalige AfD-Bundesvorstand 2017.

Im ersten Prozess wurde Höcke bereits zu einer Strafe von 13.000 Euro verurteilt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass Höcke wissentlich die NS-Parole “Alles für Deutschland” in eine Rede eingebaut hat. Ein zweiter Prozess mit einem ähnlichen Vorwurf sollte eigentlich am vergangenen Mittwoch enden. Nun ist die Urteilsverkündung für den kommenden Montag geplant. Und vor dem Landgericht Mühlhausen läuft noch immer eine Anklage wegen des Vorwurfs der Volksverhetzung gegen Höcke.

Und schließlich das BSW

Neben den selbstgemachten Problemen hat die AfD auch noch Konkurrenz bei Wahlen bekommen, die im September in Sachsen, Thüringen und Brandenburg anstehen. In allen drei Ländern war die Ausgangslage für die AfD sehr gut: Eine Umfrage für RTL und ntv sah die Partei in Thüringen im Januar bei 36, in Sachsen bei 34 und in Brandenburg bei 32 Prozent.

In jüngsten Umfragen kommt die AfD in Sachsen auf 30, in Thüringen auf 29 und in Brandenburg auf 25 Prozent. Schlimmer, aus Sicht der AfD: Mit dem BSW gibt es einen zusätzlichen Spieler, zu dem die anderen Parteien keine Abgrenzungsbeschlüsse haben. Entsprechend ungehalten zeigte sich Weidel: Bei ntv nannte sie das BSW einen “Steigbügelhalter für die CDU”.

Das große Aber

Angesichts der vielen Probleme kann es erstaunlich wirken, dass die AfD in den Umfragen weiterhin so gut abschneidet. Das Phänomen ist erklärbar: “Erstens hat sie eine im Vergleich zu anderen Parteien sehr loyale Wählerschaft”, sagte Rechtspopulismus-Experte Marcel Lewandowsky im Interview mit ntv.de. “Und zweitens empfinden viele Wählerinnen und Wähler der AfD eine wirkliche Verachtung für den politischen Betrieb und das System der Bundesrepublik – und eine gewisse Bewunderung für Putin.”

Zudem gebe es die Vorstellung, “die da oben” wollten ja nur den Erfolg der AfD verhindern, so Lewandowsky. “Man kann fast schon von Tribalismus sprechen: eine Art Stammesdenken in der Wählerschaft solcher Parteien – die Vorstellung: Wir stehen zusammen gegen alle anderen, gegen die da draußen, gegen die da oben, die die schweigende Mehrheit unterdrücken wollen.” Für den Moment würde es also reichen, weiterzumachen wie bisher. Professionalisierung und Entteufelung müssten dann allerdings verschoben werden.



Author: RoteRuhrarmee1920

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