Parlamentswahlen in Frankreich: Der Macronismus ist gescheitert


Nach dem Erdbeben folgt in der Regel das Nachbeben. Das ist die Metapher, die der französische Wahlforscher Pascal Perrineau bemüht hat, um auf das vorzubereiten, was am Sonntagabend kam: die Ergebnisse der ersten Runde der französischen Parlamentswahlen. Das Bild erweist sich als treffend, vor allem für Präsident Emmanuel Macron, für dessen Partei das Ergebnis der ersten Runde einem Erdrutsch gleichkommt.

Die ersten Hochrechnungen am Sonntagabend belegen, dass sich der historische Siegeszug von Marine Le Pens Partei Rassemblement National (RN) weiter fortsetzt, während Macrons Wahlbündnis „Gemeinsam für die Republik“ von den Wählern hart abgestraft wurde. Mit etwa 34 Prozent ist le Pens national-identitärer Block als stärkster aus den Wahlen hervorgegangen. Gefolgt wird er vom links-grünen Wahlbündnis „Neue Volksfront“ (NFP), das auf 28 Prozent kommt. Mit rund 21 Prozent wird die ehemalige Regierungsmehrheit des Präsidenten auf den dritten Platz verwiesen.

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Die Sitzverteilung in der Pariser Nationalversammlung entscheidet sich in der zweiten Wahlrunde am kommenden Sonntag. Schon jetzt deutet alles darauf hin, als werde sich das Kräfteverhältnis zwischen Macrons liberaler Mitte und Le Pens rechtsnationalem Block komplett umkehren. Le Pen sagte am Wahlabend, nach sieben Jahren „missachtender Macht“ vonseiten Macrons wollten die Franzosen ein neues Kapitel aufschlagen. Le Pen hat sich in ihrem Wahlkreis im nordfranzösischen Hénin-Beaumont gleich in der ersten Runde qualifiziert.

Mit der Ankündigung vorgezogener Neuwahlen hat Macron die Franzosen am Abend der Europawahlen überrascht, viele regelrecht schockiert. Mit Ausnahme des Präsidenten, der bis zum Schluss an einen Wahlsieg seines Bündnisses glaubte, haben sich alle innerlich auf einen Sieg der Rechtspopulisten vorbereitet. Ob es für den RN für eine absolute Mehrheit von 289 der 577 Sitze reicht, wird sich erst am kommenden Sonntag zeigen.

Anhänger Le Pens nach der Veröffentlichung von Hochrechnungen

Anhänger Le Pens nach der Veröffentlichung von Hochrechnungen

Quelle: dpa/Thibault Camus

Sollte das der Fall sein, wird Macron Jordan Bardella, Le Pens politischem Ziehsohn, das Amt des Regierungschefs anvertrauen müssen. Es käme zu einer Kohabitation. Der 28-jährige Bardella sagte, er werde die Berufung bei einer relativen Mehrheit ablehnen. Doch ab einer Zahl von 270 Sitzen geht der RN-Chef davon aus, weitere Abgeordnete der konservativen Opposition abwerben zu können und auf eine absolute Mehrheit zu kommen.

Dass die Mehrheit der Franzosen diese Wahl als historisch empfindet, zeigt die Wahlbeteiligung von 67,5 Prozent. Vor zwei Jahren, bei den regulären Wahlen zur Nationalversammlung, betrug sie in der ersten Runde lediglich 47 Prozent. Durch die hohe Wahlbeteiligung kommt es zu 246 Dreieckswahlen. Früher war die Regel, dass sich in solchen Fällen, wenn drei Kandidaten weiterrücken, der am schlechtesten gestellte zurückzieht, um den Sieg des RN-Kandidaten zu verhindern. Doch die Brandmauer existiert nicht mehr. Verlässlichere Voraussagen lassen sich aus diesem Grund erst am Dienstagabend machen. Bis dahin können sich Kandidaten aus der Wahl zurückzuziehen.

Die größte Gefahr für Le Pen: sich als unfähig zu erweisen

Die erste Runde erlaubt bereits drei Aufschlüsse. Es ist die Stunde der französischen Rechtspopulisten, für die der Zeitpunkt des Sieges selbst überraschend kommt. Auch wenn es einen sogenannten „Matignon-Plan“ in den Schubladen geben soll, so heißt der Sitz des Premierministers, haben sie nicht genügend qualifizierte Parteikader für alle Ministerposten. Sie hatten eigentlich die Präsidentschaftswahlen 2027 avisiert. Le Pen dürfte sich darüber bewusst sein, dass die größte Gefahr für sich und ihre Partei darin besteht, sich in drei Jahren an der Macht als unfähig zu erweisen und zu desavouieren. Damit würde die Präsidentschaft, um die sie sich seit 2012 bewirbt und die zum Schluss so greifbar schien, unerreichbar werden.

Zweitens wirkt diese Wahl wie die Beisetzung des Macronismus, der politischen Bewegung von Präsident Macron. Die Strategie des Präsidenten lautete „Ich oder das Chaos“. Zweimal hat sie ihn in den Élysée-Palast katapultiert. Dieses Mal hat er sich verkalkuliert. Macron hatte der zerstrittenen Linken offenbar nicht zugetraut, sich innerhalb von einer Woche zu einigen und zu einem Wahlbündnis zusammenzuschließen. Macron, der sich als Damm gegen die Rechtspopulisten verstand, erweist sich als ihr Sprungbrett an die Macht.

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Als letzte Lehre kann man festhalten, dass Frankreichs Konservative sich ihr eigenes Grab geschaufelt haben. Durch die Konkurrenz der Rechtspopulisten haben Les Républicains (LR) deren Themen wie Immigration und Sicherheit übernommen und sich weiter gegen rechts bewegt. Aber das hat nicht funktioniert. Seit der Niederlage von Nicolas Sarkozy bei den Präsidentschaftswahlen 2012 schleppen sie sich von einer Wahlschlappe zur nächsten. Als Parteichef Eric Ciotti wenige Stunden nach der EU-Wahl mit Le Pens RN eine Allianz gebildet hat, brach die Strategie der Annäherung endgültig zusammen – und mit ihr die viel beschworene Brandmauer gegen rechts. Die Partei ist seither gespalten. Der alte Kern kommt auf zehn Prozent.

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Der Aufstieg des RN kommt nicht von einem Tag auf den andern. 2002, als Jean-Marie Le Pen bei den Präsidentschaftswahlen auf knapp 18 Prozent in der Stichwahl gegen Jacques Chirac kam, stand das Land unter Schock. Nach der Umbenennung des Front National in Rassemblement National und die Strategie der Ent-Diabolisierung hat seine Tochter Marine die Wähler an ganz andere Ergebnisse gewöhnt. Trotz ihrer drei gescheiterten Versuche, Präsidentin zu werden, hat sie mit jedem Mal viele Millionen Wählerstimmen dazugewonnen. 2012 stimmten im ersten Wahlgang 6,5 Millionen für sie, zehn Jahre später erreichte sich in der Stichwahl genau doppelt so viele Wähler, über 13 Millionen.

Parteichef Bardella kündigte an, dass er der „Premierminister aller Franzosen“ sein werde, ein „Premierminister des Alltags“, der die Kaufkraft verbessern, die Ordnung im Land wiederherstellen und die Einwanderung kontrollieren werde. Er appellierte an die Wähler, beim zweiten Wahlgang Politiker an die Macht zu bringen, die die Wähler „verstehen, achten und so lieben wie sie ihr Vaterland lieben“.



Author: RoteRuhrarmee1920

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