Das neue Staatsbürgerschaftsrecht: Ab heute gilt es, darum geht es


Am heutigen Donnerstag tritt eines der zentralen Reformprojekte dieser Bundesregierung in Kraft: das neue Staatsbürgerschaftsrecht. Bis zuletzt war das Vorhaben hochumstritten. Das wird wohl auch so bleiben.

Erst vor zwei Wochen appellierte Unionsfraktionschef Friedrich Merz im Bundestag an die Ampelkoalition, wenigstens das Datum zu verschieben, an dem das neue Staatsbürgerschaftsrecht in Kraft tritt. “Dann könnten wir angesichts der aktuellen Lage mit Ihnen noch einmal darüber beraten, wie wir zu einem vernünftigen Staatsbürgerschaftsrecht kommen, das eben nicht das Tor weiter öffnet für Menschen, die in unserem Land eigentlich keinen Platz haben dürfen.”

Für die Union ist das Gesetz ein gigantischer Fehler. “Damit wird die Mehrfachstaatsangehörigkeit zum Regelfall, der generelle Doppelpass”, kritisierte Merz. Und: “Es gibt eine Einbürgerung auch bei Sozialleistungsbezug.”

Aus Sicht der Ampel bewirkt die Reform das glatte Gegenteil. “Bislang ist es so, dass Menschen deutsche Staatsbürger werden können, die nicht von ihrer eigenen Hände Arbeit leben”, sagte FDP-Fraktionschef Christian Dürr bereits vor einiger Zeit im Interview mit ntv.de. “Das macht viele Menschen rasend und das kann ich nachvollziehen. Wir knüpfen zum ersten Mal in der Geschichte unseres Landes das Staatsangehörigkeitsrecht direkt an die Frage des Lebensunterhaltes. Das ist für mich zentral.”

“Du kannst Deutscher werden, wenn du einen Job hast”

Tatsächlich gilt der Grundsatz, dass die deutsche Staatsbürgerschaft nur erhalten soll, wer den Lebensunterhalt für sich und unterhaltsberechtigte Familienangehörige aus eigenen Mitteln bestreiten kann. Ausnahmen gibt es für die früheren “Gastarbeiter”, die bis 1974 nach Deutschland gekommen sind, und für die sogenannten Vertragsarbeiter der DDR.

“Wir fördern genau das, was wir uns von Zuwanderern wünschen: Du kannst Deutscher werden, wenn du die Sprache lernst, dich integrierst und einen Job hast”, sagte Dürr. “Also genau das, was wir uns von Zuwanderern wünschen.” Neu sei zudem, “dass Menschen, die antisemitisch auffallen, keine Chance mehr haben, deutsche Staatsbürger zu werden”.

Schon bisher wurde für eine Einbürgerung ein Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung verlangt. Nach den antisemitischen Protesten in Deutschland infolge des Hamas-Überfalls auf Israel wird nun auch das Bekenntnis “zur besonderen historischen Verantwortung Deutschlands für die nationalsozialistische Unrechtsherrschaft und ihren Folgen” gefordert, “insbesondere für den Schutz jüdischen Lebens“. Der Fragenkatalog für die Einbürgerungstests wurde entsprechend erweitert.

Bei falschen Angaben kann die Einbürgerung rückgängig gemacht werden. Grundsätzlich war das schon bisher möglich: Nach Paragraf 35 des Staatsangehörigkeitsgesetzes kann eine Einbürgerung innerhalb von zehn Jahren bei arglistiger Täuschung widerrufen werden. Das neue Gesetz stellt ausdrücklich klar, dass auch das unrichtige Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung zur Rücknahme führen kann.

Die von der Union abgelehnte Erleichterung von Einbürgerungen ist von der Ampel ausdrücklich gewollt. Im EU-Vergleich gab es in Deutschland bislang meist relativ wenig Einbürgerungen – mit Ausnahme der 1990er Jahre, als die Zahl durch die Einbürgerung von Spätaussiedlern auf über 300.000 stieg.

Zum Vergleich: Im Jahr 2022, dem derzeit letzten Jahr mit Daten für die europäische Ebene, gab es in der EU insgesamt 989.000 Einbürgerungen. Die meisten neuen Staatsbürgerschaften wurden von Italien (213.700) und Spanien (181.800) verliehen, obwohl beide Länder deutlich weniger Einwohner haben als Deutschland. Die Bundesrepublik folgt in dieser Statistik der EU auf Platz drei.

Im vergangenen Jahr wurden in Deutschland 200.100 Personen eingebürgert, die weitaus meisten in den Großstädten. Dabei fällt auf: Beim sogenannten ausgeschöpften Einbürgerungspotenzial, also beim Verhältnis zwischen der Zahl der tatsächlich Eingebürgerten und derjenigen, die theoretisch eingebürgert werden könnten, liegen eher die ländlichen Regionen vorn. Im Jahr 2022 etwa war erreichten unter anderem Rendsburg-Eckernförde in Schleswig-Holstein oder das thüringische Eichsfeld Quoten von mehr als 15 Prozent. Großstädte wie Köln, München und Berlin kamen auf weniger als drei Prozent.

MigrationEinbürgerungen auf Landkreisebene

Die Einbürgerungsbehörden erwarten, dass nach Inkrafttreten des Gesetzes deutlich mehr Menschen Deutsche werden wollen. Ein Grund sind die verkürzten Wartezeiten. Wer bereits lange legal in Deutschland lebt, kann sich künftig nach fünf Jahren um den deutschen Pass bewerben. Bisher waren es in der Regel acht Jahre. Schon vor der Reform hatten Ehegatten von Deutschen nach drei Jahren in Deutschland und zwei Jahren Ehe einen Anspruch auf Einbürgerung.

Bei “besonderen Integrationsleistungen” soll eine Einbürgerung nun generell nach drei Jahren möglich sein. Solche besonderen Integrationsleistungen können etwa gute Sprachkenntnisse sein, ein ehrenamtliches Engagement oder sehr gute Leistungen in Schule oder Beruf. Kürzere Fristen gelten auch für Kinder: Alle in Deutschland geborenen Kinder ausländischer Eltern sollen künftig die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten, wenn mindestens ein Elternteil seit mehr als fünf Jahren rechtmäßig in Deutschland lebt. Bislang lag die Frist bei acht Jahren.

Eine Sonderregel für Sprachkenntnisse gilt künftig für die ehemalige Gastarbeitergeneration. Diese Personen, die ja seit Jahrzehnten in Deutschland leben, müssen künftig keinen schriftlichen Deutsch-Test mehr machen, um eingebürgert zu werden. So soll die Lebensleistung dieser älteren Generation gewürdigt werden, die zum Aufbau der Bundesrepublik beigetragen hat.

Doppel-Pässe besonders umstritten

Besonders umstritten zwischen Opposition und Ampel ist das Thema Doppel-Pass. Schon bisher waren doppelte Staatsbürgerschaften möglich – aber grundsätzlich nur als Ausnahmefall. Trotzdem gibt es 2,9 Millionen Doppelstaatler in Deutschland, die mit Abstand meisten davon Deutsch-Polen, Deutsch-Türken und Deutsch-Russen.

Diese millionenfache “Ausnahme” soll künftig grundsätzlich erlaubt sein. Ob das sinnvoll ist oder nicht, darüber gibt es politischen Streit. Integrationsstaatsministerin Reem Alabali-Radovan von der SPD etwa sagte, zwei Pässe seien “im Jahr 2024 das Normalste der Welt”. Dagegen sagte der Göttinger Jurist Ferdinand Weber in einer Anhörung des Innenausschusses, dass er zwar Verständnis dafür habe, dass man Mehrstaatigkeit vorübergehend hinnehmen könne. Er kritisierte jedoch, dass mehrere Staatsbürgerschaften gewissermaßen vererbt werden könnten, auch wenn eine Person ihren Lebensmittelpunkt ganz klar in Deutschland habe.

Der Staatsrechtler Matthias Friehe wies auf sicherheitspolitische Probleme hin: So würden Deutsche, die einen russischen Pass annehmen, künftig nicht mehr ihre deutsche Staatsangehörigkeit verlieren, “was dem Putin-Regime beispielsweise die Wiedereinbürgerung ehemaliger Russen ermöglichen würde”. “Wenn die Bundesregierung ihre eigene nationale Sicherheitsstrategie ernstnimmt, die Deutschland in einer systemischen Konkurrenz zum Autoritarismus sieht, heißt das: Mehrfache Staatsangehörigkeiten mit autoritären Regimen sind, wie es das Bundesverfassungsgericht einmal allgemein formuliert hat, ein Übel. Der Gesetzgeber sollte sie nicht weiter fördern, sondern nach Wegen suchen, bestehende mehrfache Staatsangehörigkeiten abzubauen!”

Behörden rechnen mit vielen Anfragen

Die doppelte Staatsbürgerschaft ist der Grund, warum der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Gökay Sofuoglu, mit einem starken Anstieg der Einbürgerungsanträge rechnet. “Die Leute haben inzwischen verinnerlicht, dass es eine doppelte Staatsbürgerschaft geben wird”, sagte er den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland. Er rechne “mit 50.000 Anträgen pro Jahr”. Die Bearbeitung werde jedoch dauern. In vielen Städten sei es schwierig, überhaupt einen Termin bei den Ausländerämtern zu bekommen. Bei den Einbürgerungsbehörden gibt tatsächlich schon seit Wochen viele Anfragen, wie eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur bei Landesregierungen und Stadtverwaltungen zeigte.

Das Gesetz sei ein wichtiges Signal an Menschen mit Migrationsgeschichte, “dass wir sie sehen, sie anerkennen und dass wir sie demokratisch teilhaben lassen”, sagte die Bundestagsabgeordnete Filiz Polat von den Grünen. Die FDP-Innenpolitikerin Ann-Veruschka Jurisch betont, dass mit der Reform zwar Fristen verkürzt, aber nicht die Anforderungen gesenkt würden. Da die Hürden für die Einbürgerung schon nach drei Jahren sehr hoch seien, gehe sie davon aus, dass deutlich über 90 Prozent der Menschen erst nach mindestens fünf Jahren eingebürgert werden.

Die Union beeindrucken diese Argumente nicht, sie hält die Reform für falsch und würde das Gesetz im Falle eines Wahlsiegs in der nächsten Legislaturperiode ändern. CDU-Chef Merz legte am Mittwoch im Bundestag nach: Das neue Staatsbürgerschaftsrecht wie geplant in Kraft treten zu lassen, sei “glatte Ignoranz” und “eine Wirklichkeitsverweigerung”, wie es sie selten in Deutschland gegeben habe.



Author: RoteRuhrarmee1920

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