Proteste bei Deutschlandbesuch – Scholz mahnt bei Milei Sozialverträglichkeit von Reformen an
Nur 60 Minuten dauerte der Antrittsbesuch des argentinischen Präsidenten bei Scholz. Der ultraliberale Präsident will Argentinien mit einem radikalen Sparprogramm wieder auf Kurs bringen. Am Samstag und Sonntag kam es in Hamburg und Berlin zu Protesten gegen Milei.
Begleitet von Protesten und Kritik hat der argentinische Präsident Javier Milei seinen zweitägigen Deutschland-Besuch absolviert. Bei ihrem Treffen am Sonntag in Berlin sprach Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) Milei auf die Folgen seiner umstrittenen Reformpolitik für die argentinische Bevölkerung an, wie das Kanzleramt mitteilte. Scholz habe „unterstrichen, dass aus seiner Sicht Sozialverträglichkeit und der Schutz des gesellschaftlichen Zusammenhalts wichtige Maßstäbe sein sollten“.
Am Samstag hatten Hunderte Menschen in Hamburg gegen die Verleihung der Medaille der wirtschaftsliberalen Hayek-Gesellschaft an Milei protestiert. Und auch am Sonntag hielten Menschen in Berlin Plakate gegen Milei in die Höhe.
Das Gespräch dauerte, wie geplant nur 60 Minuten. Die zweitgrößte Volkswirtschaft Südamerikas steckt in einer Rezession und leidet unter einem aufgeblähten Staatsapparat, geringer Produktivität der Industrie und einer großen Schattenwirtschaft, die dem Staat viele Steuereinnahmen entzieht. Der ultraliberale Präsident will das Land mit einem radikalen Sparprogramm wieder auf Kurs bringen.
Seit Dezember ist Milei Präsident von Argentinien. Seinem Land verordnete der selbst ernannte Anarchokapitalist einen radikalen Sparkurs. Das Reformpaket sieht unter anderem Privatisierungen, Massenentlassungen im öffentlichen Dienst und Einsparungen im Bildungs-, Sozial- sowie Gesundheitssektor vor.
Das hat allerdings seinen Preis: Die harten Maßnahmen würgen die Wirtschaftsleistung ab. Der Internationale Währungsfonds (IWF) rechnet mit einem Rückgang um 2,8 Prozent im laufenden Jahr. Nach Angaben der Katholischen Universität Argentiniens leben knapp 56 Prozent der Menschen in Argentinien unter der Armutsgrenze und rund 18 Prozent in extremer Armut.
Die Reformen des Präsidenten haben zu gewaltsamen Protesten in Argentinien geführt. Auch während seines Besuchs in Hamburg und Berlin kam es zu Demonstrationen.
Scholz und Milei wollen Mercosur
Scholz und Milei sprachen auch über die wirtschaftlichen Beziehungen beider Länder und machten sich laut Regierungssprecher Steffen Hebestreit für den zügigen Abschluss der seit 25 Jahren andauernden Gespräche über eine Freihandelszone zwischen der Europäischen Union und dem südamerikanischen Staatenverbund Mercosur stark, dem neben Argentinien auch Brasilien, Uruguay und Paraguay angehören. Mit dem Abkommen würde eine der weltweit größten Freihandelszonen mit mehr als 700 Millionen Einwohnern entstehen. Eine Grundsatzeinigung aus dem Jahr 2019 wird jedoch wegen anhaltender Bedenken – etwa beim Regenwaldschutz – nicht umgesetzt. Der Kanzler unterstützte auch den Beitritt Argentiniens zur Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung OECD.
Einigkeit gab es zwischen Scholz und Milei auch mit Blick auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Regierungssprecher Hebestreit verwies darauf, dass beide kürzlich erst am Friedensgipfel in der Schweiz teilgenommen haben. „Auch im heutigen Gespräch waren sich beide einig, dass Russland es in der Hand hat, den Angriffskrieg gegen die Ukraine zu beenden.“
Eine zunächst angekündigte gemeinsame Pressekonferenz von Scholz und Milei war kurzfristig ebenso wie der Empfang mit militärischen Ehren abgesagt worden – auf Wunsch Mileis, wie es von deutscher Seite hieß. Der einzige gemeinsame öffentliche Auftritt war ein kurzer Fototermin bei der Begrüßung vor dem Kanzleramt.
Mehrere zivilgesellschaftliche Organisationen hatten den Bundeskanzler in einem offenen Brief zuvor aufgefordert, das Treffen mit Milei abzusagen und ihm kein Podium zu bieten. Milei befindet sich derzeit auf einer Europareise.