Arbeitsmarktforscher zum Bürgergeld: Kürzungen erhöhen Arbeitsanreize nicht


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Das Bürgergeld ist häufig Bestandteil emotionsgeladener und hitziger Debatten. Während manche die Einführung für überfällig hielten, halten andere das Programm für fatal. Was aber sagt ein Experte dazu?

München – Andreas Hauptmann ist Experte beim Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit. Ein Gespräch über Bürgergeld, Integration und Zahlen.

Bezogen auf den Bevölkerungsanteil beziehen deutlich mehr Ausländer Bürgergeld als Deutsche. Präsentiert Deutschland eine soziale Hängematte?

Bei dem vergleichsweise höheren Anteil spielen viele Faktoren eine Rolle. Ein zentraler Grund für die Zahlen ist der Zuzug von Geflüchteten, auch aus der Ukraine. Menschen, die ihr Land über Nacht verlassen, haben andere Anfangsvoraussetzungen als Menschen, die zu Erwerbszwecken zuwandern. Sie sind anfangs mehr auf staatliche Unterstützung angewiesen. Die höheren Zahlen beim Bürgergeld spiegeln die Zuwanderungsbewegungen seit 2010 wider. Und es gab im Zuge der EU-Erweiterung mehr Zuwanderung aus Kroatien, Bulgarien, Rumänien, Polen und Tschechien. Dass der Anteil an ausländischen Bürgergeld-Empfängern steigt, wenn die Bevölkerung steigt, war also ein Stück weit erwartbar. Und: Der Großteil der Ausländer ist nicht im Bürgergeld-Bezug. Ausländische Beschäftigte leisten einen ganz erheblichen Beitrag zum Beschäftigungswachstum in Deutschland.

Ein Antrag auf Bürgergeld: Über die neue Sozialsicherung der Bundesregierung wird in- und außerhalb der Politik heftig gestritten.
Ein Antrag auf Bürgergeld: Über die neue Sozialsicherung der Bundesregierung wird inner- und außerhalb der Politik heftig gestritten. © Jens Kalaene / dpa

Warum ist der Anteil an Bürgergeld-Empfängern so viel höher?

Hier muss man nach Gruppen unterscheiden. Bei Spätaussiedlern zum Beispiel oder Deutschen mit Migrationshintergrund sind die Unterschiede zu Personen ohne Migrationshintergrund gar nicht mehr so groß. Wichtig sind der Zuwanderungsgrund und die Aufenthaltsdauer. Bei Geflüchteten beobachten wir, dass im Zeitverlauf die Beschäftigung ansteigt. Es ist ja auch so: Wenn kontinuierlich Menschen zuwandern, kommen immer wieder Leistungsbezieher dazu, während andere aus dem Bürgergeld rausfallen. Integration braucht Zeit.

Wie viel Zeit?

Pauschal kann man das nicht sagen. Bei den Geflüchteten von 2013 bis 2019 lag die Erwerbstätigenquote nach einem Jahr nur bei sieben Prozent, acht Jahre nach der Ankunft liegt sie aktuell bei 68 Prozent – bei den Männern sind es 86, bei den Frauen 33 Prozent. Bei anderen geht es aber auch schneller, beispielsweise bei Einwanderung zu Erwerbszwecken.

Acht Jahre, das klingt aber nach einer sehr langen Integrationsphase …

Es gibt einige Hürden zu überwinden: das langwierige Asylverfahren, die Wohnsitzauflagen, das anfängliche Beschäftigungsverbot, gesundheitliche Beeinträchtigungen – und die Sprache. Man muss sich auf einen gewissen Integrationsprozess einstellen.

Macht der Staat zu wenig Druck?

Integration kann man nicht mit ein paar Stellschrauben ad hoc ein- oder ausschalten.

Anders gefragt: Setzt das Bürgergeld die falschen Anreize? Nämlich, sich keinen Job zu suchen?

Es gibt eine interessante Studie aus Dänemark. Dort hat man die Leistungen für Geflüchtete reduziert. Es gab tatsächlich einen Beschäftigungsanstieg – der aber nur von kurzer Dauer war. Die Jobs waren meist schlecht bezahlt. Am Ende hatte die Kürzung keinen positiven Effekt, dafür stieg die Armutsquote. Um Menschen wirklich in Arbeit zu bringen, sind Unterstützung und Qualifizierung nötig, – wie es das Bürgergeld auch vorsieht. Klar: Wer einen Minimaljob annimmt, der maximal schlecht bezahlt ist, gilt statistisch als erwerbstätig. Aber ist das nachhaltig?

Ausländische Abschlüsse werden bei uns oft nicht anerkannt. Ein Problem?

Wir wissen aus der Forschung, dass Berufsanerkennung und Sprachkurse zwei Schlüssel für die Integration in den Arbeitsmarkt sind. Mehr Sprachkurse wären wünschenswert und die Anerkennung von Abschlüssen ist ein komplizierter, langwieriger Prozess. Wir hätten in der Vergangenheit durchaus einige Dinge besser machen können, mehr in Integration investieren. Das zahlt sich am Ende aus. Denn wir brauchen Arbeitskräfte aus dem Ausland.



Author: RoteRuhrarmee1920

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