AfD-Parteitag: Plötzlich überholt Chrupalla sogar AfD-Superstar Weidel


Essen am Samstagmorgen. Drei Journalisten sind gemeinsam auf dem Weg zum Bundesparteitag der AfD in die Grugahalle. Eine „Deutschlandfunk“-Redakteurin wird plötzlich von Demonstranten angesprochen und gefragt, ob sie von der Presse sei. Sie beantwortet die Frage nicht, wird von einer fünfköpfigen Gruppe umzingelt. Die Demonstranten halten sie offenbar für eine AfD-Delegierte. Die Polizei muss dazwischengehen. So berichten es die Betroffene und eine Zeugin dieser Zeitung.

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Protestzug gegen die AfD am Samstag in Essen

Zehntausende protestierten in Essen gegen die AfD, die meisten davon friedlich. Einige beteiligten sich laut Polizei aber an gewalttätigen Aktionen und Angriffen gegen Einsatzkräfte. Die Versuche, Delegierte an der Anreise zu hindern, gelangen allerdings nicht, wie viele von ihnen berichteten. Zu Beginn des Parteitags am Vormittag waren bereits 534 von 600 Delegierten anwesend, die Zahl wächst später. Mehrere bekannte Abgeordnete waren unter Polizeischutz zur Halle gebracht worden.

Draußen protestieren Tausende gegen den Parteitag der AfD

Draußen protestieren Tausende gegen den Parteitag der AfD

Quelle: REUTERS

„Wir lassen uns nicht einschüchtern“, sagt Parteichefin Alice Weidel in ihrer Begrüßungsrede. „Wir sind hier und wir werden bleiben.“ Zum Erstaunen einiger Delegierter fordert sie daraufhin, den Verfassungsschutz „in dieser Form“ abzuschaffen. Dies ist bislang keine Beschlusslage des AfD-Bundesverbands. Lediglich einige Landesverbände haben die Forderung beschlossen. Dann kommt Weidel auf den verkorksten Europawahlkampf zu sprechen, der von zahlreichen Skandalen um die Spitzenkandidaten Maximilian Krah und Petr Bystron geprägt war. „Parteiarbeit ist ein Mannschaftssport“, sagt sie. „Man muss Rücksicht nehmen, und man muss sich einordnen.“ Dies gelte für „Publikumslieblinge und für ehrliche, disziplinierte Arbeiter“. Krah fällt für Weidel offensichtlich nur in die erste und nicht in die zweite Kategorie.

Chrupalla spricht – ebenfalls ohne Namensnennung – von „unprofessionellem Verhalten“, Eignung oder Kompetenz seien bei der Listenwahl nicht in jedem Fall die entscheidenden Kriterien gewesen. Beide Parteichefs sind mächtig sauer auf Krah und machen ihn intern hauptverantwortlich dafür, dass die AfD bei der Europawahl (15,9 Prozent) nicht noch deutlich besser abgeschnitten hat. „Wir hätten 20 Prozent holen können“, sagt Chrupalla.

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AfD-Spitzenkandidat Maximilian Krah

Eine Nachwahlbefragung, die das Institut Insa zwischen dem 10. und 17. Juni für AfD durchgeführt hat und WELT AM SONNTAG vorliegt, gibt hierzu kein eindeutiges Bild ab. Ein Ergebnis spricht für Krah, eins gegen ihn. So geben 80 Prozent derjenigen, die die Kandidaten der AfD wahrgenommen haben, an, dass sich durch diese ihr Bild der Partei nicht verändert habe. Von denen, deren Eindruck sich hingegen verändert hat, geben indes mehr als zwei Drittel an, es habe sich verschlechtert. Nur neun Prozent berichten, dass sich ihr Bild verbessert habe.

„Diese Partei wird dieses Land ändern, das verspreche ich“

Aber die große Diskussion der AfD über ihren misslungenen Wahlkampf bleibt an diesem Samstag aus. Bayerns Parteivize Rainer Rothfuß zieht morgens überraschend einen Antrag zurück, in dem von auf „Lügen basierenden Schmutzkampagnen“ gegen die Spitzenkandidaten die Rede war. Im Bundesvorstand hatte man zuvor befürchtet, dass aus Bayern und Ostdeutschland Kritik an den Parteispitzen laut würde, da diese Krah nach der Wahl fallen ließen und seine Nichtaufnahme in die Europa-Delegation nicht verhinderten.

Überhaupt zeigen viele Delegierte mit ihrem Abstimmungsverhalten ein großes Bedürfnis nach Ordnung und Ruhe. Davon profitiert insbesondere Parteichef Chrupalla. Zunächst findet ein Antrag auf eine Einzelspitze, die auf die bei der Basis deutlich beliebtere Weidel hinausgelaufen wäre, nur vereinzelte Ja-Stimmen. Am Nachmittag wird der Sachse mit starken 83 Prozent wiedergewählt – und wirkt danach überwältigt. Nicht einmal Fragen der Delegierten hatte er sich nach seiner Bewerbungsrede stellen müssen. „Wir haben die Partei befriedet“, sagt Chrupalla. „Diese Partei wird dieses Land ändern, das verspreche ich.“

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Im Jahr 2022 hatten ihn – bei einem Gegenkandidaten – lediglich 53 Prozent der Delegierten im Amt bestätigt. Sein Ergebnis ist nun sogar geringfügig besser als das von Alice Weidel, die nach einer für ihre Verhältnisse schwachen Rede lediglich knapp 80 Prozent erhielt. Ihr parteiinterner Gegner Dirk Spaniel, verkehrspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion, unterliegt später bei der Wahl zu einem der Vizechef-Posten zwar deutlich, erhält aber immerhin über 30 Prozent.

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Dass Chrupalla aus der Wahl als der stärkere Bundesvorsitzende hervorgeht, dürfte nicht im Sinne Weidels sein, die sich zuvor für ihren Amtskollegen starkgemacht hatte. Dabei hätte dieser ohne Weidels intensives Eintreten wohl deutlich schlechter abgeschnitten. Kurz vor dem Parteitag ließ sich Weidel etwa schwärmend in der WELT zitieren: „Ich möchte nicht auf ihn an meiner Seite verzichten“, sagte sie über Chrupalla, von dem sie inhaltlich einiges trennt, mit dem sie aber eine vertrauensvolle Form der Zusammenarbeit gefunden hat.

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Die beiden vereinbarten bereits vor langer Zeit, als Doppelspitze weitermachen zu wollen. Weidel ging es vor allem darum, vor den Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen im September keine Personaldiskussion zu entfachen und am ostdeutschen Chef festzuhalten, um dort Wähler nicht zu verprellen. Nach der Abstimmung auf dem Parteitag spricht Weidel vor Fernsehkameras von einem „Solidarisierungseffekt“. „Es wurde eine Kampagne gegen ihn gefahren, jetzt ist er gestärkt.“ Die AfD will im nächsten Jahr erstmals eine Kanzlerkandidatur ausrufen. Weidel werden parteiintern weiterhin die deutlich besseren Chancen zugerechnet als Chrupalla.

Wie üblich ist auch dieser AfD-Parteitage nicht frei von schrillen Sprüchen. Der Thüringer Stephan Brandner fordert in seiner Rede die Festnahme der Bundesregierung. „Macht die Stimmzettel zu Haftbefehlen für diejenigen, die verantwortlich sind für den unterirdischen Zustand dieses Landes“, sagt er – und wird mit 91 Prozent als Parteivize bestätigt. Weidel hat zuvor einen angeblichen „Hippie-Wahn“ in Deutschland diagnostiziert.

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Am späten Samstagnachmittag kandidiert dann noch der Bundesvorsitzende der Jungen Alternative, Hannes Gnauck, auf dem letzten Beisitzerposten. Die AfD müsse „sozialere Inhalte als die SPD“ vertreten und „natur- und heimatschützender als die Grünen“ sein, sagt Gnauck in seiner Bewerbungsrede. Jeder Patriot müsse daran interessiert sein, „sich von jeglicher Fremdbestimmung im eigenen Land zu lösen“. Gnauck kann sich im zweiten Wahlgang knapp gegen den Landtags-Fraktionsvorsitzenden Markus Wagner aus dem vergleichsweise gemäßigten Landesverband Nordrhein-Westfalen durchsetzen und ist damit neben Dennis Hohloch und Roman Reusch der dritte Brandenburger im höchsten Parteigremium.

Der Parteitag wählte mit Weidel hingegen lediglich eine Frau in den 14-köpfigen Bundesvorstand. „Ich bin gegen eine Quote. Nichtsdestotrotz müssen wir uns das anschauen“, sagt Weidel dazu am frühen Abend vor Journalisten. Sie könne die Frauen in der AfD nur dazu auffordern, ebenfalls zu kandidieren. Es sei „ja auch ganz nett für die Männer hier, ein paar mehr Frauen im Vorstand zu haben“.

Von der Kundgebung vor der Halle, an der nach Angaben der Veranstalter rund 50.000 Menschen teilnehmen, bekommen die Delegierten drinnen nichts mit. Laut Polizei werden in Essen bis zum Nachmittag elf Einsatzkräfte verletzt, mehrere Demonstranten festgenommen.

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Author: RoteRuhrarmee1920

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