AfD-Parteitag in Essen: Abgeordnete werden als „Nazischweine“ beschimpft, es wird versucht zu attackieren


Als gegen 6 Uhr morgens der große Protesttag gegen den AfD-Parteitag beginnt, wirkt vor der Essener Grugahalle alles entspannt. Hinter den in Doppelreihe aufgebauten Hamburger Gittern stehen Polizisten aus Hessen und Nordrhein-Westfalen, deren Helme locker an ihren Gürteln baumeln. Nicht wie von Aktivistengruppen erhofft Tausende, sondern nur ein paar Dutzend Demonstranten haben sich um diese Zeit schon hier versammelt.

Einige von ihnen, augenscheinlich bereits im Rentenalter, blockieren eine Abbiegespur. Tatsächlich kommt hier keiner der Vans, die AfD-Politiker zum Parteitagsort fahren sollten, durch. Doch das liegt nicht an den Blockierern, sondern schlicht an einer Absperrung, die von der Polizei aufgebaut worden ist. Die mit Verve blockierte Zufahrt zum Parteitag ist gar keine. Ein Versuch scheitert, mit den älteren Damen und Herren in Gespräch zu kommen, von denen einer die Polizeibeamten als „Pisser“ beschimpft.

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10.000 Blockierer, wie sie sich die Wuppertaler Autonomen auf der Internetseite ihres Zentrums erträumt hatten, waren so früh nicht auf der Straße, doch dann werden es einige Hundert. Als ein Aktivist des Bündnisses „Widersetzen“ laminierte Aktionskarten verteilt, auf denen Blockadepunkte markiert sind, machen sie sich auf den Weg. Ihr Ziel ist es, die Zufahrten dichtzumachen und den Parteitag zu verhindern.

Gegen 6.30 Uhr stehen gut 200 Demonstranten auf der Joseph-Lenné-Straße in der Nähe der Veranstaltungshalle. Die eigentliche Zufahrt ist von der Polizei mit quergestellten Mannschaftswagen abgesichert. Hier wie andernorts ist für die Aktivisten kein Durchkommen. Eine junge, ganz in Schwarz gekleidete Demonstrantin beklagt sich: „Das ist auch nicht das Wahre.“ Ein Pärchen hat indes eine Decke ausgebreitet und beginnt zu frühstücken. Es gibt Kaffee und Brötchen mit Mortadella.

Protest am frühen Morgen

Protest am frühen Morgen

Quelle: dpa

Durchaus wichtigtuerisch patrouillieren derweil die „Parlamentarischen Beobachter*innen“ der Linkspartei umher, Demonstranten rufen Sprüche wie „Ganz Essen hasst die AfD“ oder „Alerta Antifaschista“. Ein junger Mann mit einem regenbogenfarbenen Tuch um den Kopf, der seinen Namen nicht nennen möchte, gibt sich zuversichtlich: „Hier bleibt es friedlich und das ist auch der Plan. Von wem geht denn die Gewalt in der Gesellschaft aus? Von uns oder von denen in der Halle?“

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Ein paar Hundert Meter weiter, an der Auffahrt zur A52, ist die Lage etwas anders. Rund 1000 Demonstranten haben hier eine Blockade errichtet, es kommt zu Rangeleien mit der Polizei. Als einige Protestler, darunter Mitglieder kleiner maoistischer und trotzkistischer Gruppen mit großspurigen Namen wie „Kommunistischer Aufbruch“ oder „Klasse gegen Klasse“ versuchen, direkt zur Autobahn durchzubrechen, setzt die Polizei Pfefferspray und Schlagstöcke ein. Grimmig blicken sie über ihre mit Hammer und Sichel verzierten roten Halstücher und ignorieren auch eine freundliche Aufforderung aus dem Lautsprecherwagen der Demonstrationsleitung, doch bitte weiter zur Gruga zu ziehen.

Diese Aktivisten wollen ein AfD-Verbot selbst in die Hand nehmen

Diese Aktivisten wollen ein AfD-Verbot selbst in die Hand nehmen

Quelle: REUTERS

Während die Jungkommunisten und ein paar ihrer vorwiegend mit Palästinensertüchern ausgestatteten Genossen von der Polizei umzingelt werden, gelingt es dem Team im Lautsprecherwagen, die Situation musikalisch zu entspannen. Über das Soundsystem wird hier kein revolutionäres Liedgut gespielt, sondern „Gimme! Gimme! Gimme!“ von Abba, „People are People“ von Depeche Mode und „Absolutely Everybody“ von Vanessa Amorosi.

Polizei spricht von einem „guten Tag“

Alassa Mfouapon, der Sprecher des Bündnisses „Widersetzen“, das die morgendlichen Blockadeversuche organisiert hat, ist zu diesem Zeitpunkt zufrieden mit den weitgehend friedlichen Protesten: „Keine Gewalt war immer unser Ziel.“ An den Rangeleien sei die Polizei schuld, sie habe Demonstranten angegriffen. Dass es überhaupt zu den größten Demonstrationen der Stadtgeschichte gekommen sei, sei die Schuld der Stadt: „Die Stadttochter ‚Messe Essen‘ hat den Vertrag mit der AfD abgeschlossen und damit die demokratischen Rechte vieler Menschen ignoriert.“

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Ein Aktivist vom Freundeskreis Flüchtlingssolidarität ist wie viele hier der Ansicht, der Parteitag hätte überhaupt nicht stattfinden dürfen. Allerdings bemüht er eine offenbar originell gemeinte Begründung: Die AfD sollte nach dem Potsdamer Abkommen von 1945 verboten werden müssen. Die Alliierten beschlossen damals nach dem Sieg über Deutschland die Entnazifizierung.

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AfD-Chefs Tino Chrupalla und Alice Weidel

Um kurz vor neun Uhr verkündete eine Frauenstimme über den Lautsprecher die Nachricht, auf die wohl alle hier gehofft hatten: „Wir behindern gerade den AfD-Parteitag, blockieren die Zugänge von den Autobahnen, und 500 Menschen haben AfD-Delegierte in einem Hotel eingekesselt.“ Jubel brandet auf. Sollte es tatsächlich gelungen sein, den Parteitag zu verhindern?

Nein. Auf eine Anfrage der WELT stellt ein Polizeisprecher eher belustigt fest, dass keine der Blockaden die Zugänge zum Parteitag verhindert hätte: „Verhinderungsblockaden hätten wir aufgelöst.“ Er berichtet, dass tatsächlich vor einem Hotel protestiert worden sei, in dem aber gar keine AfD-Delegierten anwesend waren. Eingreifen mussten die Beamten demnach aber, als ein AfDler in einer nahe gelegenen Bäckerei von Demonstranten bedrängt wurde. „Im Großen und Ganzen war es, von ein paar Rangeleien abgesehen, ein guter Tag. Unser Konzept ist aufgegangen“, sagt der Sprecher am Mittag. Auch dass es verletzte Polizisten gegeben habe, mindestens elf, ändere nichts an dieser Einschätzung. „Man muss das in Relation zu der Größe der Proteste setzen.“

Nur vor der Grugahalle wird es noch einmal etwas brenzlig: Demonstranten haben Delegierte eingekesselt, die Polizei begleitete sie durch den Pulk der Protestierer zum Parteitagsgelände. Sie werden als „Nazischweine“ beschimpft, es wird versucht zu attackieren, was die Polizei aber verhindert.

Unweit der Grugahalle wird eine Gruppe AfD-Politikern (r.) von Gegendemonstranten erkannt und eingekesselt. Die Polizei bildet daraufhin einen Schutzring

Unweit der Grugahalle wird eine Gruppe AfD-Politikern (r.) von Gegendemonstranten erkannt und eingekesselt. Die Polizei bildet daraufhin einen Schutzring

Quelle: dpa

Die Krawalle, die NRW-Innenminister Herbert Reul noch am Vortag für möglich gehalten hat, sind am Morgen ausgefallen. Es scheint ein Verdienst der Demonstrationsleitung sein. Sie hat deeskaliert, wo immer es ging, und der Polizei, die die Lage zu jederzeit im Griff hatte, ab und an robust auftrat, aber Blockaden und Demonstrationen zuließ, solange sie nicht den Zugang der Delegierten zum Parteitag verhinderten.

Um 10:30 Uhr eröffnet Alice Weidel mit etwas Verspätung den Parteitag. Kurz nach elf Uhr wird in der Halle festgestellt, dass noch knapp 50 Delegierte fehlen. AfD-Parteichefin Alice Weidel kritisiert: „Was sich vor dieser Halle abspielt, hat nichts mit der politischen Willensbildung zu tun. Woke, linke Gruppierungen, unterstützt von der CDU, versuchen mit aller Macht, die politische Meinungsbildung einzuschüchtern.“

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Zu diesem Zeitpunkt sind noch mehrere Zehntausende Demonstranten auf dem Weg zur Veranstaltungshalle. Sie haben sich dem großen Demonstrationszug angeschlossen, der um zehn Uhr am Hauptbahnhof aufgebrochen ist und am frühen Nachmittag an der Gruga eintrifft, wo eine Kundgebung läuft. Zu der Großdemonstration hat das Bündnis „Gemeinsam laut“ aufgerufen, das von 50.000 Teilnehmern spricht. Dem Appell zur Großdemonstration hatten sich fast 400 Organisationen und Aktionsgruppen angeschlossen. Insgesamt sind an diesem Wochenende 31 Protest-Events angemeldet.

NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) dankt via Deutsche Presse-Agentur an diesem Tag der Polizei, aber auch allen Protestlern: „Die vielen Tausenden Demonstranten in Essen zeigen: In Nordrhein-Westfalen ist kein Platz für Hetze, Hass und Rechtsextremismus“. Gewalt dürfe jedoch nie das Mittel der Wahl sein.



Author: RoteRuhrarmee1920

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